Gott schickt nicht in Rente
Für viele Menschen beginnt mit dem Einstieg in den sogenannten Herbst des Lebens in Wahrheit ihr zweiter Frühling. Egal ob mit 67 oder meist früher – die Zeitspanne zwischen dem Abschluss der Erwerbsarbeit und dem Ende des Lebensweges wird immer länger. Natürlich will diese Zeit gestaltet und sinnvoll genutzt werden. Alter ist nicht per se eine Zeit der Defizite. Noch nie gab es so viele körperlich und geistig aktive Senioren wie heute. Diese Feststellung betrifft nicht nur die jungen Alten, sondern in zunehmender Zahl auch die Hochaltrigen. In der Medizin, der Pflege, in der Sozialen Arbeit und verstärkt auch in der Pastoral wird versucht, die Forschungsergebnisse aus der Gerontologie bzw. der Geriatrie zum Wohle der Menschen umzusetzen und mit gezielten Programmen auf die neuen Herausforderungen zu reagieren.
Natürlich hat inzwischen auch die Wirtschaft diesen lukrativen Personenkreis längst entdeckt, zumal sich viele ältere Menschen die Annehmlichkeiten spezieller seniorenorientierter Angebote gut leisten können. Andererseits stehen den Begriffen wie Altersarmut, Altersgebrechlichkeit, Altersvereinsamung oder Altersdemenz nach wie vor harte Realitäten und menschliche Schicksale in großer Zahl gegenüber. Meist treffen diese Probleme in besonderem Maße Frauen, weil ihre Lebenserwartung höher ist und weil sie vielfach weniger für ihre Alterssicherung haben zurücklegen können. Insbesondere ihre Erziehungsleistungen werden von der Gesellschaft bzw. vom Staat nur unzureichend vergolten.
Das Altersthema ist vielschichtig. Pauschalitäten verbieten sich bei „den“ Alten ebenso wie bei „der“ Jugend. So ist es ein weit verbreiteter Irrtum, dass das Alter fromm mache. Wer bis zum Renteneintritt keinen Bezug zu Gott oder zur Kirche gefunden hat, der tut sich damit auch im Alter schwer. Gleiches gilt für das ehrenamtliche Engagement. Auch wenn man nun vermeintlich Zeit in Fülle hätte, um sich altruistisch, durchaus aber auch zum eigenen Vorteil für andere einzusetzen, wird man die eigene Hemmschwelle kaum überwinden, wenn man es zuvor nicht gelernt und praktiziert hat. Wer nicht in jüngeren Jahren erfahren hat, wie bereichernd es ist, für andere da zu sein, der lernt es in der Regel nimmer mehr. Gleichzeit wird hier deutlich, wie wichtig die ältere Generation bei der Werte- und Glaubensvermittlung ist. Lernen am Vorbild darf dabei freilich nicht zu eng gefasst werden. Es geht um die Weitergabe des Feuers und nicht um die Anbetung der Asche. So hat der Komponist Gustav Mahler einst den Begriff der Tradition erklärt.
Verantwortungsübernahme der Alten für die Jungen und umgekehrt ist letztlich eine Frage der Generationensolidarität und der Generationengerechtigkeit. Die gesamte Gesellschaft profitiert davon – natürlich auch die Kirche.