Eine Frage der politischen Kultur
Eine Frage: Möchten Sie in diesen Tagen eine Politikerin oder ein Politiker sein? Nicht unbedingt, werden Sie sagen. Warum ist das so? Weshalb ist das Ansehen der Politiker – Umfragen dokumentieren es eindeutig – so im Keller? Was ist vorgefallen, dass auch die Wertschätzung der politischen Arbeit so gering ist?
Nun könnte man darauf verweisen, dass auch andere Berufsgruppen in ihrem Status und in ihrer Arbeit in Frage gestellt werden, dass auch andere vormalige Autoritäten unserer Gesellschaft ihre Unangefochtenheit verloren haben. Allen voran die Ärzte, die bisher im Umfragehoch über allen anderen Berufen rangierten. Oder nehmen wir das Ansehen des Wirtschaftsmanagers oder gar des Bankers. Höchste Vorsicht. Und auch die Inhaber des geistlichen Amtes wissen längst, dass ihnen das Vertrauen nicht gewissermaßen entgegenkommt, sondern permanent erarbeitet werden muss.
Worin liegen die Gründe für das oft abschätzige Urteil über die Politiker und die politische Arbeit? Gewiss, der Umgang der Politiker untereinander ist oft weit von dem entfernt, was man politische Kultur nennt. Um politische Ziele und über die Wege, diese zu erreichen, darf man und muss man streiten. Aber wie?
Nur ein Beispiel: die Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken musste, nachdem die Nutzung der Atomenergie über Jahrzehnte hinweg als eine Art Glaubenskrieg unsere Gesellschaft gespalten hat, zu höchst emotionalen Kontroversen führen. Jeder Politiker musste wissen, dass die Frage wiederum Demonstrationen und Menschenketten durch das ganze Land ziehen lassen wird. Von den Politikern hätte man erwarten dürfen, dass sie das Parlament zu dem Ort schlechthin machten, in dem die Argumente hart aber fair gegenübergestellt werden. Aus meiner Sicht ist es aber politisch mehr als schädlich, wenn Politiker feierlich verkünden, sie würden den Kampf auf die Straße tragen. Dafür sind sie nicht gewählt. Oder noch deutlicher: Sie sind als Parlamentarier gewählt, nicht als Straßenkämpfer. Die Demonstration ist ein herausragendes Recht der Bürger, das die trittbrettfahrenden Politiker nicht benötigt. Manche meinen noch dazu, dass es dabei ein besonderer Ausdruck politischer Verantwortung sei, wenn sie in solchen Kontroversen ständig von ihrer Wut sprechen.
Aber auch wir selbst sollten, wenn wir schon über politische Kultur nachdenken, in uns gehen. Denn es scheint, dass wir die Politiker mit unseren Erwartung schlicht überfordern, um damit wiederum unsere Geringschätzung der Politik zu rechtfertigen. Dagegen würde eine Besinnung über die Begrenztheit und Bruchstückhaftigkeit all dessen, was wir ins Werk setzen, helfen. Wir schaffen nicht das Perfekte und auch von den Politikern sollten wir nicht das endgültig Stimmige erwarten. Das wäre zugleich auch eine Besinnung auf das oft bemühte christliche Menschenbild.