Im Vergleich schwach
Neuerdings sind die Deutschen in ihrem Selbstwertgefühl tief getroffen. Fast im Wochenrhythmus wird uns bescheinigt, dass wir international gesehen da und dort und fast überall nachhinken. In der Produktion von Hochschulabsolventen sind wir beinahe Schlusslicht, im Kreis der OECD-Staaten nur noch von Tschechien und der Türkei unterboten. In China investiere man doppelt so viel in Forschung und Entwicklung wie hierzulande. Was die Familienfreundlichkeit angehe, sei unser Land nur mäßiges Mittelmaß. Wir Deutschen werden, wenn man das alles glauben will, links und rechts überholt. Deutschland verliert den Anschluss.
Nun beginnt selbst die Festung Bayern zu bröckeln. Lange haben wir es hier vermocht, eine Art Siegermentalität zu kultivieren. Listig haben wir die bayerischen aus den gesamtdeutschen Werten herausgerechnet und festgestellt, dass sich Deutschland, wenn es nur aus Bayern bestände, mit den Großen messen könnte. Die Berieselung mit internationalen Vergleichszahlen tut ihre Wirkung. Schlage ich die Zeitung auf, konfrontiert sie mich mit dem miesen Tabellenplatz Deutschlands. Breche ich meinen Jahresvorsatz und schaue fern, wer gerade bei Christiansen zusammensitzt, zieht eben der Sprecher der Vereinigung irgendwelcher Vereine eine Aufstellung aus der Tasche und schließt seinen Beitrag mit erhobener Stimme: Was in Lappland möglich sei, müsste doch auch bei uns zu schaffen sein.
So orientieren wir uns im Bildungswesen, wie PISA uns geheißen hat, an Finnland. Weniger interessiert uns, dass 20 Prozent der dortigen Schulabgänger in die Jugendarbeitslosigkeit entlassen werden. Das Investitionsklima scheint uns aufgrund der zukunftsweisenden Unternehmensbesteuerung in Österreich vorbildhaft. Vielleicht hätten wir uns bei der Mehrwertsteuer und den Verbrauchssteuern am Nachbarland orientieren sollen, dann bräuchten wir jetzt nicht über den Benzintourismus zu klagen. Das Gesundheitswesen übrigens soll am Schweizer Vorbild genesen. Die deutsche Universität schielt längst über den Großen Teich. Das Maß aller Dinge sind die Elite-Universitäten von Harvard und Yale, an denen leider nur die Geldelite studieren kann. Und schließlich die Familienfreundlichkeit: Sie bemisst sich neuerdings danach, wie viele Kinder in den ersten Jahren außerhalb der Familie erzogen werden. Unsere Vorbilder sind Schweden und Frankreich. Warum eigentlich nicht das Land Brandenburg, wo wir eine zehnmal so hohe Krippenquote haben wie in Bayern (aber leider etwas weniger Geburten)?
Und überhaupt: Am meisten muss uns in diesem Wettlauf der Länder Folgendes betrüben: dass wir in der Produktion der Kaschmirwolle so unrettbar weit hinter der Inneren Mongolei liegen.