Souveräner Abschied
Die Art und Weise, wie ein Politiker von der Politik Abschied nimmt, wie er auf Macht und Statussymbole verzichten kann, sagt nicht nur viel über seine Persönlichkeit, sondern auch über sein Politikverständnis aus. Es offenbart manchmal mehr als die scharfsinnigste Auflis-tung all dessen, was er während mehrerer Jahrzehnte an politischen Positionen eingenommen und an welchen Entscheidungen er maßgeblich mitgewirkt hat. Solche „Summen“ einer poli-tischen Biographie bleiben an der Oberfläche und enden nicht selten im Klischee. Die be-stimmte und nüchterne Art, mit der der bayerische Landtagspräsident Alois Glück seinen Rückzug aus Präsidentenamt und Landtag angekündigt und vollzogen hat, weist auf eine Per-sönlichkeit, die sich leidenschaftlich und mit großer Verantwortlichkeit der Politik widmen, zugleich jedoch eine gewisse Distanz zu ihr aufrechterhalten konnte. Alois Glück zeichnet ei-ne innere Souveränität aus, die sich bei allem Einsatz für die Sache nicht völlig dem politi-schen Geschäft verschrieb. Diese Distanz, die er sich immer bewahrt hat, ist bemerkenswert für jemanden, der sich bereits in relativ jungen Jahren entschieden hatte, die Politik als Beruf zu ergreifen. Sie ist aber auch umgekehrt notwendig, um im politischen Handeln trotz der Hektik des Alltags Augenmaß zu gewinnen.
Abstand gewinnen ist das eine, Maß nehmen das andere. Maß nehmen bedarf der Maßstäbe. Das Bemühen, die Zeichen der Zeit richtig zu deuten, die bestimmenden gesellschaftlichen Trends aufzuspüren und über sozialethische und politisch-ethische Prinzipien nachzudenken, ist geradezu zur Signatur der Politikerpersönlichkeit Alois Glück geworden. Von daher be-gegnete er einer Spezies von Politikern, die einen ausgeprägten Sinn für Macht und Machbar-keit entwickelt, aber wenig Aufmerksamkeit auf die Ziele und die Kriterien des eigenen Tuns verwendet, mit einer gewissen Skepsis.
Aufgrund dieser beiden Fähigkeiten, das Augenmaß in der Politik zu wahren und politische Entscheidungen von Grundsätzen her zu bedenken, ist Alois Glück in den Laiengremien des bayerischen und deutschen Katholizismus geradezu zu einer Instanz geworden, zu einem Ver-mittler zwischen Kirche und Politik.
Wer die politische Kultur in den letzten Monaten und vielleicht auch schon Jahren kritisch verfolgt hat, kann folgende Phänomene beobachten: Sobald ein Politiker oder eine Politikerin den Zenit der Macht erreicht, solange sie die Aura die Macht umgibt, wird ihnen gehuldigt. Fällt aber jemand (oder wird fallen gelassen), wird abgerechnet. Liegt jemand am Boden, wird nicht selten noch nachgetreten. Eine Kategorie finden wir selten in der politischen Szene: den Dank. Uns ist es heute ein Bedürfnis, Alois Glück unseren Dank abzustatten.