Armes reiches Land
Vor kurzem berichtete meine Tageszeitung über die „Tafel“ in Starnberg, eine jener ehrenamtlichen Einrichtungen also, die landauf landab kostenlos Lebensmittel an Bedürftige abgeben. In Starnberg, einer der reichsten Gemeinden in Deutschland, wo man meinen möchte, das Leben spiele sich vornehmlich zwischen Villa und Segelyacht ab, besteht die Tafel seit vielen Jahren. Die Reporterin befragte die Initiatorin, ob sich da nicht Trittbrettfahrer in die Reihe der Bedürftigen mischten. Die Antwort der in der ehrenamtlichen Arbeit erfahrenen Frau war schneidend kurz: Wer hier in der Schlange steht, der ist arm. Aus ihr spricht die Erfahrung, dass es viel verschämte Armut gibt, Armut, die sich verbirgt, und dass es großer Selbstüberwindung bedarf, sich als Hilfsbedürftiger zu offenbaren.
Wer reiht sich in die Schlange der Armen ein: Senioren, deren Rente für das Nötigste nicht reicht, Arbeitslose, Kinderreiche, Alleinerziehende.
Eben entnehme ich derselben Zeitung – es ist eher eine Rand-spalte auf Seite sechs -, das jeder zweite Hauptschüler in Deutschland 13 Monate nach Beendigung der Schule, gleich ob mit oder ohne Abschluss, noch keinen beruflichen Ausbildungsplatz gefunden hat. Trotz Nachqualifizierung und Überbrückungsmaßnahmen sind vierzig Prozent auch noch nach zweiein-halb Jahren ohne Ausbildungschance.
Wenn es nach der öffentlichen Meinung ginge, das heißt, der veröffentlichen Meinung derer, die in unserer Gesellschaft das Sagen haben, dann müsste man zu der Überzeugung kommen, das größte Bildungsproblem sei der Übergang vom neunstufigen Gymnasium zum so genannten G-8. Die Forderungen der gymnasialen Elternverbände beherrschen die Spalten der Zeitungen. Die Eltern der Hauptschüler schweigen. Und doch: in der Hauptschule herrscht der Bildungsnotstand. Hier zeichnet sich die gespaltene Gesellschaft von heute ab. Hier wird der Grund dafür gelegt, dass sich die Spaltung der Gesellschaft fortsetzt und vertieft.
Noch meinen manche, sie müssten vor einer Verteilungsmentalität warnen. Es ist genau umgekehrt. Die gerechte Verteilung dessen, was in unserem Land erarbeitet wird, beginnend bei den Löhnen bis hin zur Ausstattung der Hauptschule, muss auf die Tagungsordnung. Und es muss rasch geschehen, bevor die Suppenküchen zum Symbol einer armen reichen Gesellschaft werden, an das man denkt, wenn man an Deutschland denkt.