Gerechtigkeit ist mehr
Manchmal könnte der Kontrast zwischen dem Geschehen auf den politischen Kampfplätzen und der Botschaft der sonntäglichen Liturgie nicht größer sein.
Draußen ist der Streit um härtere, höhere, schnellere, frühere Strafen für jugendliche Straftäter voll entbrannt. Schon vor Jahresfrist, als eine Berliner Schule wegen der Gewaltbereitschaft Jugendlicher vorübergehend geschlossen werden musste, kam prompt die politische Forderung, solche Schüler müssten „entfernt“ werden. Aber wohin? Heute ertönt der Ruf nach einem härteren Zugriff staatlicher Gewalt. Gewiss, die kriminelle Energie und Brutalität jugendlicher Täter machen sprachlos. Von der Politik werden aber gleichwohl Antworten erwartet. Längere Haftdauer – ja, aber wem ist gedient, wenn der Heranwachsende nach fünf statt nach vier Jahren frei kommt? Ist die Chance seiner gesellschaftlichen Eingliederung dadurch gestiegen? Senkung des Alters bei der strafrechtlichen Verfolgung auf Dreizehn- oder gar Elfjährige – ja, aber wiederum wem ist damit gedient, dem Opfer, der Gesellschaft oder dem Kind? Es scheint dass auch die Politik ratlos ist und dies mit viel parteipolitischem Lärm zudeckt, der in Wahlkampfzeiten nicht selten die zulässigen Emissionsgrenzen überschreitet.
Wie soll die Rechtsgemeinschaft diesen jungen Straftätern begegnen? Wie wird man den Opfern gerecht? Welches Strafmaß verlangt die Gerechtigkeit?
Aus dieser Sphäre verborgener Ratlosigkeit und vordergründigen Lärms betritt man die Kirche und hört am Fest der Taufe Jesu den Propheten Jesaja über den erwählten Gottesknecht sagen, das er nicht müde werde, bis er auf der Erde das Recht begründet habe. „Das geknickte Rohr zerbricht er nicht, und den glimmenden Docht löscht er nicht aus; ja, er bringt wirklich das Recht.“ Diese Worte enthalten nicht die Forderung, auf eine angemessene Strafe zu verzichten – und damit vielleicht auch noch die Opfer zu verhöhnen. Aber es ist die Botschaft, dass sich Recht und Gerechtigkeit nicht in der Verhängung von Strafen erschöpfen. Der Blick weitet sich. Er fällt auch auf den Täter auf den Menschen einer schon in jungen Jahren gebrochenen Biographie.
Mancher wird nun sagen: Das sind fromme Überlegungen. Aber kann man damit Politik machen? Man kann.