Wofür bin ich zuständig?
Wir leben in einer arbeitsteiligen Gesellschaft. Die Aufgaben sind, so scheint es, rundum verteilt. Für alles gibt es zuständige Stellen mit zuständigen Fachleuten. Am augenfälligsten ist es, wenn wir eine große Behörde aufsuchen. Schon in der Eingangshalle begegnet uns die große Hinweistafel, gleichsam ein Wegweiser, wo der zuständige Sachbearbeiter zu finden ist. Schlimm, wenn wir uns in die falsche Warteschlange eingereiht haben, wenn hinter der Tür jemand sitzt, der leider unzuständig ist. Wir haben die Telefonnummern von Polizei, Notarzt und Feuerwehr eingespeichert, um im Fall des Falles rasch die Zuständigen zu erreichen. Und wir fahren zügig vorbei, wenn jemand mit seinem Auto liegen geblieben ist. Es gibt ja schließlich die gelben Engel vom ADAC.
Viele betrachten auch die Kirche so. Sie haben sehr klare Vorstellungen, wofür die Kirche – gemeint sind in der Regel die Amtsträger – zuständig ist und wofür nicht. Wehe übrigens, wenn man in diesem nach Zuständigkeiten vermessenen Land unversehens in den Zuständigkeitsbereich eines anderen eingedrungen ist, weil man meinte, man sei zu einem eigenständigen Beitrag herausgefordert.
Nun wäre es wohl töricht, den Wert von Arbeitsteiligkeit und Spezialisierung zu leugnen. Zumal Verwaltungen, auch die kirchlichen, können nur so funktionieren. Und doch: Ist das schon der Schlüssel für gelingendes Zusammenleben und für lebendige Gemeinschaften? Gelegentlich scheint es, als habe die Solidarität nur dort eine gewisse Berechtigung, wo im Netzwerk gesellschaftlicher Zuständigkeiten eine Lücke noch nicht geschlossen ist. Kommt zum Beispiel die Misshandlung eines Kindes ans Licht der Öffentlichkeit, beginnt die Suche nach dem Versagen der Zuständigen. Nur selten kommt die Frage auf, ob denn die Nachbarn entweder nichts bemerkt hätten oder nichts sehen und hören wollten. Das Gleichnis vom barmherzigen Samaritan ist übrigens auch eine Lektion über Zuständigkeit.
Ist es abwegig, wenn wir hier auch die Tendenz einordnen, die Politik immer mehr der zuständigen „politischen Klasse“ zu überlassen? Bürgermeisterwahlen, bei denen nur noch ein gutes Drittel der Berechtigten an die Wahlurne tritt, sind Manifestationen von Unzuständigkeit. Wir vergessen, dass auch eine politische Gemeinschaft oder der Staat unter die Räuber fallen können.