Absage an das Gemeinwohl?
Allianz, Siemens, Infineon, AEG, HypoVereinsbank: Immer wieder geht es darum, Arbeitsplätze zu streichen. Begründet wird dies mit der Notwendigkeit rascher Umstrukturierungen. Dabei sehen die Gewinnerwartungen der Konzerne oft blendend aus.
Die Reaktionen darauf könnten gegensätzlicher nicht sein. Die Wirtschaftsanalysten spenden Lob. Der Wert der Unternehmen springt an der Börse nach oben. Auf der anderen Seite das Entsetzen und die Verunsicherung bei den Arbeitnehmern und ihren Familien. Versucht man sich klarzumachen, was hier eigentlich abläuft, kreisen die Gedanken um drei Fragen:
Erstens: Dass in vielen Wirtschaftssektoren ein beschleunigter Strukturwandel im Gange ist, wird niemand bestreiten können. Die Unternehmen müssen diesem Wandel rechtzei-tig Rechnung tragen. Aber muss die Umstrukturierung in der demonstrierten Weise auf dem Rücken der Mitarbeiter ausgetragen werden, wenn gleichzeitig horrende Gewinne in der Bilanz stehen, Gewinne, die von den Belegschaften mit erarbeitet wurden? In wel-cher Weise tragen die Eigner des Kapitals zur Umstrukturierung des Unternehmens bei, des Kapitals, das sich so gerne Risikokapital nennt?
Zweitens: Bis vor nicht allzu langer Zeit galt in der Wirtschaft der Satz, das „eigentliche Kapital“ eines Unternehmens liege in der Kreativität und Motivation seiner Mitarbeiter. Hier sprudele die Quelle des Erfolgs. Seit zehn Jahren sind die Personalabteilungen der selben Unternehmen vor allem mit der Abwicklung von Massenentlassungen beschäftigt. Noch nie - seit dem 19. Jahrhundert - wurde dem arbeitenden Menschen in solcher Bru-talität gezeigt, dass er bloß austauschbare und abbaubare Manövriermasse ist. Noch nie wurde den Mitarbeitern so unverhohlen vor Augen geführt, dass alle ihre Identifikation mit dem Unternehmen verzichtbar sei, weil sie im Grunde gar nicht zum Unternehmen gehörten. Glaubt man im Ernst, die Verunsicherung sei der Schlüssel für höhere Motivation?
Drittens: Wie vollzieht sich der Personalabbau? Die Unternehmen bieten Auflösungsverträge mit Ablösungssummen an. Aber dies ist nur die eine Seite. Zugleich werden die „freigesetzten“ Arbeitnehmer auf das System der sozialen Sicherung verwiesen. Das heißt, die Unternehmen lassen ihre hastigen Umstrukturierungen im großen Stil von der Gemeinschaft der Sozialversicherten finanzieren.
Vor einem zumindest mögen uns die so agierenden Konzerne verschonen: dass sie aus der Gewinnsteigerung etwas abzweigen, um damit generös eine Stiftungsprofessur für Wirtschaftsethik zu finanzieren.