»Man hat das Konzil etwas aus den Augen verloren«
Für bitter nötig hält Professor Alois Baumgartner eine Rückbesinnung auf die Theologie des Zweiten Vatikanischen Konzils. Der Sozialethiker äußert sich zu den Folgen des Kon-zils für den deutschen Laienkatholizismus, zur aktuellen Entwicklung im Bistum Regens-burg und zur momentanen politischen Situation.
MK: 2005 ist das Jahr eines kirchlichen Doppeljubiläums: Vor 40 Jahren endete in Rom das Zweite Vatikanische Konzil und vor 30 Jahren tagte die Würzburger Synode. Welche Signalwirkung ging von diesen Ereignissen aus?
BAUMGARTNER: Das Konzil hat die Position der Laien und deren Mitarbeit völlig neu ak-zentuiert. Die Laien empfangen ihre Aufgabe und Sendung nicht mehr von den Bischöfen (das war das Verständnis der Katholischen Aktion), sondern vielmehr kraft Taufe und Firmung, das heißt von Christus selbst. Das Konzil hat auch dargelegt, dass es unter Ka-tholiken in ihrer politischen Ausrichtung eine legitime Bandbreite geben kann.
MK: Was hat sich in der Folgezeit dadurch geändert?
BAUMGARTNER: Der Laienkatholizismus ist parteipolitisch unabhängiger geworden. Er hat sich in Deutschland auf alle nichtradikalen Parteien hin geöffnet. Auf der anderen Seite gingen die Nähe und die wechselseitige personelle Verflechtung, die vor dem Konzil zwischen Katholischer Aktion oder den katholischen Verbänden und den politischen Parteien (vor allem den Unionsparteien) bestand, verloren. Heute sind die Vertreter des Laienkatholizismus in den Parteien und in den politischen Entscheidungsgremien zuneh-mend weniger vertreten. Sie versuchen von außen, durch Gespräche und Resolutionen, Einfluss auf die Politik zu gewinnen.
MK: Was ist von den Errungenschaften des Konzils heute noch spürbar?
BAUMGARTNER: Das Konzil hat einen großen Aufschwung in der Mitarbeit der Laien bewirkt. Die Kirche wird als Gemeinschaft verstanden, die von allen ihren Gliedern getragen wird und an deren Sendung alle auf je eigene Weise mitwirken – Bischöfe, Priester, Diakone, Ordensleute und Laien. Die Kirche hat sich dadurch ungeheuer verändert. Das Bild, wonach auf der einen Seite der Klerus die Heilsgüter verwaltet und auf der anderen Seite das gläubige Volk in passiver Konsumentenhaltung verharrt, ist überholt.
MK: Aber haben Sie nicht den Eindruck, dass es auf Seiten vereinzelter Bischöfe Bestre-bungen gibt, diese Entwicklung rückgängig zu machen?
BAUMGARTNER: In der Kirche gibt es verschiedene Sendungen. Alle haben ihre spezifische Aufgabe. Aber alle sind auch aufeinander bezogen, denn sie haben eins gemein: Es ist Christus, der sie sendet. Wenn es zwischen Bischöfen und Laien vielleicht da und dort Spannungen gibt, mag es daran liegen, dass man das Konzil mit seinen klaren Aussagen zum Apostolat der Laien und seine nicht weniger klaren Weisungen für das Leitungsamt der Bischöfe etwas aus den Augen verloren hat. Vielleicht ist aber auch ein gehöriges Maß an Kooperationsunfähigkeit im Spiel.
MK: Wie etwa aktuell im Bistum Regensburg?
BAUMGERTNER: Ja, leider. Die Entwicklungen dort halte ich dennoch im Blick auf die bayerischen und übrigen deutschen Diözesen für eine Randerscheinung, verbunden mit einigen persönlichkeitsbedingten Unverträglichkeiten. Aber grundsätzlich gibt es auch keine Garantie dafür, dass die Kirche nicht in bestimmten Bereichen hinter die Einsichten des Konzils zurückfällt. Eine Rückbesinnung auf die Theologie des Konzils ist bitter nötig.
MK: In diesen Tagen feiert die Arbeitsgemeinschaft katholischer Verbände und Gemeinschaften in der Region München ihr 20-jähriges Bestehen. Worin liegt der Wert katholischer Verbände?
BAUMGARTNER: Es gibt viele Menschen, die sich der Pfarrgemeinde vorsichtig nähern, sich nicht gleich hundertprozentig als Gemeindemitglied fühlen. Katholische Verbände übernehmen hier eine sehr wertvolle Aufgabe: Sie sprechen diese Menschen über ihren Beruf oder ihre Interessen an und holen sie auf diesem Weg in die Kirche hinein.
MK: Aber nicht wenige Verbände kämpfen mit einer Reihe von Problemen.
BAUMGARTNER: Für die Verbände ist es schwer, junge Leute zu finden, die in die Aufga-be, auch in die gesellschaftspolitische Aufgabe, des jeweiligen Verbands hineinwachsen. Das hat was mit der gegenwärtigen Scheu vor einer institutionellen und langfristigen Bindung zu tun. Wenn man sich engagiert, geschieht dies heute lieber kurzfristig, etwa in Initiativen.
MK: Ein kurzer Blick nach Berlin: Wie beurteilen Sie die momentane politische Großwetterlage?
BAUMGARTNER: Max Weber hat in seinem Vortrag »Politik als Beruf« drei Eigenschaften genannt, die ein Politiker mitbringen muss: Leidenschaft, Verantwortlichkeit und Au-genmaß. Ich meine, dass es daran heute ein wenig fehlt. Derzeit wird mehr über die Wege als über die Ziele der Politik geredet. Hinzu kommt, dass Politiker kaum mehr Zeit haben, Distanz zum eigenen Tun zu finden. Es mangelt auch am Bewusstsein für die Ver-antwortung, die man stellvertretend für die Bürger übernommen hat. In dem Maß, wie sich die politische Klasse verselbstständigt, bricht das Vertrauen der Menschen in die po-litisch handelnden Personen weg.
MK: Was empfehlen Sie, damit der Verdruss über das politische Geschehen nicht noch weiter fortschreitet?
BAUMGARTNER: Ich halte es für eine Verpflichtung gerade junger Christen, sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten politisch zu informieren. Ich lege ihnen auch nahe, sich selbst politisch zu engagieren, oder in anderen Bereichen der Gesellschaft Aufgaben zu über-nehmen, etwa im Betriebsrat oder im Elternbeirat – oder bei den im Frühjahr anstehen-den Pfarrgemeinderatswahlen.
Interview: Jürgen-A. Schreiber