Alles Markt – oder was?
Gesellschaftliche Veränderungen vollziehen sich nicht selten schleichend und un-auffällig. Eine Möglichkeit, sie trotzdem wahrzunehmen, scheint zu sein, auf Sprachverschiebungen zu achten. Die Sprache spiegelt Veränderungen im Bereich von gesellschaftlichen Denkmustern und kollektiven Einstellungen wider.
So hat sich im Gesundheitswesen im Verlauf der vergangenen Jahre ein radikaler, aber kein abrupter, vielmehr fließender Wandel vollzogen – angekündigt durch ent-sprechende Sprachregelungen. Der Arzt wurde zum Dienstleistungsanbieter, der Pa-tient zum Kunden. Noch deutlicher verwandelte sich das Krankenhaus aus einer Einrichtung öffentlicher Daseinsfürsorge zu einem Unternehmen. Das Kreiskrankenhaus erhielt die Rechtsform einer GmbH, wenn es nicht gleich an eine größere Aktiengesellschaft »verkauft« wurde. Das Gesundheitswesen ist dem gesellschaftlichen Teilsystem Wirtschaft einverleibt worden. Das Vertrauensverhältnis zwischen Patienten und Arzt und die Zuwendung der Pflegenden zum Kranken und Pflegebe-dürftigen ist nur noch tragbar, sofern sie sich in die betriebswirtschaftlichen Ziele einfügen und die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Gesundheitsmarkt nicht mindern. Damit sind aber die Akzente entscheidend verschoben. Unser langjähriger Hausarzt, der bis ins hohe Alter seinen Dienst versah, hätte sich nie und nimmer als Unter-nehmer verstanden.
Im Bildungsbereich zeichnen sich ähnliche Entwicklungen ab. Schulen und Universi-täten erscheinen als Dienstleistungs-Institutionen, Lehrer und Professoren als Dienstleister, Schüler und Studenten als Kunden. Unverblümt wird gefordert, die Universitäten hätten sich zu Forschungsunternehmen fortzuentwickeln, um sich im nationalen und internationalen Wettbewerb des Wissenschaftsmarktes behaupten zu können. Lässt sich freilich der Bildungsprozess junger Menschen in ein marktwirtschaftliches Modell von Angebot und Nachfrage nach Bildungsgütern einfügen? Mit der Ökonomisierung des Bildungsbereichs tritt in den Hintergrund, dass Schulen und Hochschulen Bildungsgemeinschaften sind, dass Bildung ein lebendiger Prozess des Austausches ist, in dem die Schüler aktiv beteiligt sind und nicht nur als passive Empfänger von Bildungsgütern figurieren. Bildungsprozesse laufen anders ab als Marktprozesse.
Und wie steht es mit der Kirche? Versteht sie sich auch nur noch als Anbieterin auf den heiß umkämpften Märkten für Sinndeutung und Orientierung? Zum Schluss läuft sie Gefahr zu meinen, sie sei selbst die Produzentin des christlichen Heilsangebots.