Zur Freiheit berufen
Die jüngere Generation, so sagt man, zögere oder sei gar gehemmt, Lebensentscheidun-gen zu treffen, Entscheidungen also, die das Leben des Menschen umfassend betreffen und ihn ein Leben lang bestimmen. Trifft diese Beobachtung zu? Hat sie mit einer oft behaupteten Bindungsunfähigkeit zu tun? Jedenfalls zeigen viele eine nur auf eine be-stimmte Dauer und bis zu einem bestimmten Grad des Engagements begrenzte Bindungsfähigkeit. Es ist nicht leicht, einen Weg einzuschlagen im Wissen, dass man damit seinem Leben eine bestimmte Richtung gibt und andere denkbare und wertvolle Optionen aufgibt.
Wenn wir diesen Hintergrund bedenken, dürfen wir uns freuen, wenn an diesem Samstag zwölf junge Männer im Münchner Dom vor den Erzbischof und die Gemeinde treten und ihre Bereitschaft zum priesterlichen Dienst in der Kirche von München und Freising erklären. Wer Entscheidungen über sein Leben fällt, lässt gewiss Alternativen, die das Leben böte, hinter sich. Aber er gewinnt eine Fülle neuer Lebenschancen. Lebensentschei-dungen sind keine Engführung des Lebens, so dass man gut daran täte, ihnen auszuwei-chen oder sie auf später zu verschieben. Sie eröffnen neue Perspektiven und neue Erfah-rungsräume. Sie führen, recht verstanden, in die Freiheit.
Diejenigen, die im Dienst der christlichen Verkündigung stehen und damit vielen in ihrer Glaubensentscheidung beistehen dürfen, müssen geradezu von dieser Erfahrung der Freiheit getragen sein. »Zur Freiheit hat uns Christus befreit«, ruft uns Paulus im Gala-ter-Brief zu. Zu Recht haben vierzehn Pastoralassistentinnen und -assistenten diesen Satz über ihre Aussendungsfeier geschrieben. Und in der Tat: Wir Christen sind nicht ei-ne von Normen und Verboten umzingelte Schar in einer ansonsten freiheitlichen Welt selbstbestimmter Zeitgenossen. Wir stehen nicht als eine in ihrem Elan und ihrer Lebens-freude gelähmte Herde vor einem Wald von Stoppschildern. Christlicher Glaube befreit uns vielmehr von allen Neigungen, die Wirklichkeit zu verdrängen; er weiß um die Ver-söhnung und um die dadurch ermöglichten neuen Anfänge; er macht unser Leben reich und intensiv. Das ist der Inhalt und das ist der Sinn der christlichen Botschaft. Hier dem einzelnen Menschen ermutigend zur Seite zu stehen, ist Auftrag der kirchlichen Gemein-schaft. Kirche ist nicht die Moralanstalt der Gesellschaft, zu der sie von vielen in un-übersichtlichen Zeiten hochstilisiert wird. Kirche ist zunächst und vor allem eine Instanz der Freiheit, die den Menschen nicht in die Enge treibt, sondern in die Weite und Tiefe des Lebens führt.