Im Schatten des Krieges
Es war ein denkwürdiges Wochenende in München. Am Promenadeplatz zu promenieren, war nicht möglich. Statt flanierender Spaziergänger Hundertschaften der Bereitschaftspolizei, statt kauflustiger Schnäppchenjäger Panzerspähwagen. Im Hotel am Platz diskutierten die gut 250 Teilnehmer der 39. Münchner Sicherheitskonferenz, die nicht deshalb diesen Namen trägt, weil eine kleine Armee von Sicherheitskräften zu ihrem Schutz auf-geboten werden musste, sondern weil in ihr Probleme der internationalen Sicherheit be-sprochen werden.
Keine 300 Meter entfernt demonstrierten an der Feldherrnhalle Tausende für den Frie-den und gegen den drohenden Irak-Krieg mit Kerzen und Transparenten, mit leiden-schaftlichen Reden und Gebeten. Der Oberbürgermeister der Stadt, am Abend vorher von den Konferenzteilnehmern mit Reserve empfangen und höhnischen Zwischenrufen bedacht, spricht, vom Beifall der Menschen getragen.
Zwei Welten gewiss, aber keine Gegensätze. Natürlich neigen wir alle allzu rasch zu Po-larisierungen, die da heißen: Im Konferenzsaal hätten sich die ernsten Verantwortungs-ethiker versammelt, am Odeonsplatz die naiven Gesinnungsethiker. Oder umgekehrt: im Saal die Zyniker der Macht, auf dem Platz das moralische Gewissen des Volkes. Oder noch einfacher: dort die Politik, hier die Moral. Wenn das so einfach wäre! Nein, so ein-fach lässt sich das nicht auseinanderdividieren. Auf dem Odeonsplatz standen handfeste Politiker, die nicht grundsätzlich jeden Krieg ausschließen, aber den drohenden Irak-Krieg als nicht zwingend notwendig und wegen seiner unkalkulierbaren Folgen leidenschaftlich ablehnen. Und im Bayerischen Hof versammelten sich auch nicht die kriegslüsternen Apparatschiks, denen der Friede nichts bedeutet.
Auch von der Sache her lassen sich die Positionen nicht so leicht gegeneinander ausspie-len. Sicherheitspolitik greift zu kurz, sollte sie auf der Überzeugung gründen, dass sich eine dauerhafte Befriedung auf den Trümmern und Leiden eines Krieges errichten lässt und dass militärische Präsenz die eigentlichen Bedingungen einer friedvollen Entwicklung ersetzen könnte, nämlich Versöhnung und Gerechtigkeit. Andererseits darf die Friedens-sehnsucht nicht dazu führen, dass man die kleinen Schritte zu größerer Sicherheit gering achtet und bereits die Androhung von Gewalt gegenüber einem skrupellosen Diktator für verwerflich hält, dessen Gewaltbereitschaft heute noch gebrochen werden könnte, vor dessen Waffen man morgen aber vielleicht kapitulieren müsste.
Eines dürfen wir freilich nicht akzeptieren – nämlich, dass die Androhung von militäri-scher Gewalt geradezu automatisch in einen Krieg mündet. Soll niemand sagen, die Frist sei abgelaufen. Wir brauchen Zeit.