Diözesanrat der Katholiken

Demokratisch gewählte Vertretung des Kirchenvolkes.
Der Diözesanrat repräsentiert mehr als 125.000 ehrenamtlich in Katholikenräten, Verbänden und Initiativen aktive katholische Frauen und Männer. Zu den Aufgaben des Diözesanrats gehört es, das wirtschaftliche, familiäre, gesellschaftliche und politische Umfeld so mitzugestalten, dass der Mensch gedeihen und sich entfalten kann.

Münchner Kirchenzeitung vom 27.10.2002

Baumgartner Kolumnen
Raus aus Ghetto und Selbstgenügsamkeit

Professor Alois Baumgartner zum Selbstverständnis von Laienarbeit und zu den Aufgaben des Diözesanrats


MK: Über welche Eigenschaften sollte der Vorsitzende des Diözesanrats verfügen?

BAUMGARTNER: Er sollte aus der Überzeugung handeln, dass der Weg der Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil unter Einbeziehung der Laien in die Verantwortung für die Kirche ein bedeutsamer Aufbruch war. Er sollte wissen, wo das, was das Konzil »Sendung der Laien« nennt, angesiedelt ist, weil es seiner Funktion einen theologisch gesicherten Ort gibt. Es verleiht seiner Arbeit ein eigenständiges Gewicht bei aller Letztverantwortung des Bischofs.

MK: Entsprechend hat der Diözesanrat seine Berechtigung...

BAUMGARTNER: Der Diözesanrat ist wichtig, weil er Mitverantwortung für die Kirche von München und Freising trägt. Es handelt sich hier um eine verantwortungsvolle Mitsprache, allerdings ohne Entscheidungsbefugnis. Andererseits bündelt sich im Diözesanrat die Verantwortung der Katholiken für die Gestaltung des gesellschaftlichen und politischen Lebens.

MK: Und wie äußert sich die?

BAUMGARTNER: In den letzten vier Jahren haben wir auf profilierte Weise zu ganz unterschiedlichen Themen Stellung genommen. Wir haben uns dezidiert zum Ehegattensplitting geäußert, ausführlich das Familiengehalt erörtert und uns mit kommunalpolitischen Themen inklusive der Frage der Entwicklung des ländlichen Raums und der Bedeutung des christlichen Menschenbilds für die Politik beschäftigt. Immer wieder verweisen wir auf die Erfordernis einer weltweiten Solidarität, weil jede Solidarität, die sich nur in eigenen Grenzen bewegt, defizitär ist. Wichtig ist uns das Thema Strafvollzug und Abschiebehaft. Hier kommt zum Ausdruck, ob die Gesellschaft zur Versöhnung fähig ist und auch den Menschen noch eine Würde zuspricht, die auf schwerwiegende Weise schuldig geworden sind.

MK: Wie gestaltet sich das Verhältnis des Diözesanrats zu den Parteien?

BAUMGARTNER: Die Arbeit des Diözesanrats ist von einer grundlegenden Anerkennung der Parteien und der Bedeutsamkeit ihres Wirkens für die Demokratie geprägt. Deshalb ist vom Diözesanrat darauf zu achten, dass sich in seinen Reihen Mitglieder für Parteien engagieren und politische Ämter bekleiden. Gleichzeitig müssen wir unsere Unabhängigkeit von Parteien deutlich machen, weil unsere Willensbildung, die durchaus in einigen Fragen plural sein kann, von einem originär christlichen Verständnis ausgeht. Dieser Ansatz muss in all unseren Stellungnahmen deutlich werden. Wir werden nie zum Vorfeld einer Partei verkommen – welcher auch immer.

MK: Wie ist es denn um die Breitenwirkung der Arbeit des Diözesanrats bestellt?

BAUMGARTNER In einer vielschichtigen Gesellschaft ist die Stimme einer einzelnen Gruppe sehr relativ. Ich glaube aber, dass das Ringen um eine politische Position aus dem christlichen Geist heraus auf die Willensbildung unter den Katholiken wirkt. Das Gewicht politischer Stellungnahmen nach außen ist von ihrer Qualität abhängig. Das ist eine permanente Anfrage an uns, ob wir die Nahtstelle in der Politik auch wirklich treffen, um Christliches zum Tragen zu bringen. Das wiederum setzt Kenntnis über den aktuellen Stand der politischen Diskussion voraus. Seit vier Jahren organisieren wir ohne Öffentlichkeit Runden über gesellschaftspolitisch strittige Themen, zu denen wir Führungskräfte aus Kirche, Politik und Verbänden einladen. Auch das hat seine Wirkung.

MK: Wie arbeiten Sie mit der Kirchenleitung zusammen?

BAUMGARTNER: Hier kann ich nur Positives sagen. Der Diözesanrat erfährt vom Erzbischof ein hohes Maß an Wertschätzung. Wann immer er kann, kommt er zu den Vollversammlungen. Auch der Generalvikar ist von der ersten bis zur letzten Stunde dabei. Das schätze ich sehr, denn es ist nicht selbstverständlich. In den Leitungsgremien der Diözese wird die Position des Diözesanrats gehört, und seine Arbeit findet dort Rückhalt.

MK: Und wo haben Sie negative Erfahrungen gemacht?

BAUMGARTNER: Mit der gesellschaftspolitischen Arbeit auf Landkreisebene sind wir nicht so weit vorangekommen. Ich würde mir wünschen, dass es zwischen kirchlichen Institutionen, Kreiskatholikenräten und Landkreisdekanen zu einer stärkeren Gemeinsamkeit kommt. Es gibt hier noch offene Themenfelder: die Altenpolitik, den Jugendhilfebereich, die Verantwortung für sterbende Menschen in den Kreiskrankenhäusern, die familienbezogene Naherholung.

MK: Da liegt noch einiges an Arbeit vor Ihnen...

BAUMGARTNER: Das Problem ehrenamtlicher Arbeit liegt darin, dass man nur über ein bestimmtes Quantum an Leistungsfähigkeit verfügt. Dennoch wird der Diözesanrat mit Institutionen verglichen, in denen ausschließlich Hauptamtliche arbeiten. Bei uns aber stößt begrenzte Kapazität auf die Unbegrenztheit der Aufgaben.

MK: Trotzdem bleibt die ehrenamtliche Arbeit von Laien für Sie unerlässlich?

BAUMGARTNER: Kirche geht alle Getauften und Gefirmten an. Und: Christen leben auch innerhalb der Gesellschaft nicht als Selbstversorger. Wenn sie ihren Glauben ernst nehmen, tragen sie Verantwortung für die Gesellschaft als Ganze, vor allem für die Benachteiligten. Es darf nicht sein, dass sich Selbstgenügsamkeit breit macht, es reicht nicht, wenn Pfarrgemeinden auf einem immer höheren Niveau einem immer kleiner werdenden Kreis von Katholiken Heimat bieten. Was ist mit den anderen Katholiken, überhaupt mit den Menschen am Ort? Christen können nicht die Selbstgenügsamen sein, die sich ins beschauliche Ghetto zurückziehen.

Interview: Jürgen-A. Schreiber