Sommergewitter
Es war wie ein mittleres Beben, das in den letzten Tagen die Republik erschütterte. Sein Epizentrum lag in Köln. Von dort erging der Spruch: Die Unionsparteien sollten das C aus ihrem Namen streichen. Die Forderung entsprang nicht dem Mund des politischen Gegners. Das hätte kein Kräuseln auf den Rheinwassern hervorgerufen. Nein, der Spruch kam diesmal von höherer Stelle. Der Kölner Kardinal war von heiligem Zorn erfasst. Wie ein Blitz erleuchtete der Bannstrahl aus Köln die Szene.
Was bot sich dar? Gewissermaßen der zweite Sündenfall, der diesmal vom Mann ausging. Der Kanzlerkandidat der Union holt eine Frau namens Katherina Reiche – 28 Jahre, ein Kind, in Erwartung eines zweiten Kindes, mit dem Vater der Kinder (noch) nicht verheiratet – für Fragen der Ehe und Familie in sein Kompetenzteam, ein Team, das sich dadurch auszeichnet, dass es keine Kompetenzen hat, aber den Kandidaten wie eine Aura mit Kompetenz umgeben soll.
Eines freilich hatte man im zürnenden Köln nicht bedacht: dass die C-Parteien ehemalige O-berministranten in ihren Reihen haben. Oberministranten aber, das hätte man wissen müssen, verfügen über eine gewisse Unfehlbarkeit, die sie auch nicht verlieren, wenn sie vom Altar-dienst in einen anderen Dienst überwechseln und die Politik als Beruf ergreifen. So konnte der Widerspruch nicht ausbleiben. Goppel, Geisler etceteri brachten, kurz vor der (Wahl-)Ernte die Hagelabwehrraketen in Stellung. Sie wiesen den Kardinal streng zurecht. Ja, sie machten sich sogar anheischig, selbst bestimmen zu wollen, was Politik aus christlichen Grundsätzen bedeute. Dies ließ nun wiederum das Kölner Amt nicht ruhen. Der Streit war nun endgültig dort, wo er hingehört, auf der Ebene der Dogmatik. Die politische Unfehlbarkeit des Oberhir-ten stand gegen die Unfehlbarkeit der Oberministranten.
Was soll nun der Katholik angesichts dieses Dilemmas tun? Er möge nicht verzagen. Er möge weiterhin, auch wenn ihn sein Hirte für unmündig hält, die Programme der Parteien studie-ren, sie mit den Taten vergleichen und sich ein eigenes Urteil bilden. Den Unionschristen aber wollen wir Trost zusprechen. Morgen wird auch über ihnen wieder die Sonne scheinen. Wir versichern ihnen, dass sich über Kölns Domtürmen bisher kein Gewölk auf Dauer gehalten hat und dass der strenge moralische Gedanke nirgendwo anders so rasch in Lebensfreude um-schlägt. Und was sagen wir Frau Reiche, die mit dem rheinischen Katholizismus leider nicht vertraut ist? Sie möge, wie geplant, heiraten. Aber bitte nicht sogleich. Sie möge jeden An-schein vermeiden, sie sei vor Blitz und Donner ins Standesamt geflüchtet und habe, kirchen-rechtlich höchst bedenklich, ihr Ja-Wort unfrei nachgeholt, auf dass nicht von neuem ein Köl-ner Kugelblitz ob unseren fast unschuldigen Häuptern einherfährt.