Verarmung in kleinen Schritten
Eine Großgemeinde im Osten von München. Verzichten wir auf die Nennung des Namens. Es könnte ja auch im Westen von München sein. Ein so genannter Möbelgigant ist endlich am Ziel. Er darf seine Tore an einigen Sonntagen im Jahr öffnen. Vor zwei Jahren war er noch mit seinem Ansinnen gescheitert. Diesmal gab der Gemeinderat mit großer Mehrheit grünes Licht. Nur wenige Mitglieder des Gremiums verweigerten aus grundsätzlichen Erwägungen die Zustimmung. Der Geschäftsführer des Möbelhauses erwartet einen Absatzschub. Er rechnet nicht mit ruhigen Tagen. Auch für die Mitarbeiter solle sich die Sonntagsöffnung lohnen. Sie seien über Verkaufsprämien am Umsatz beteiligt. Dann preist er den Erlebnisreichtum des Familieneinkaufssonntags für Groß und Klein.
Wie schön es doch sei, in Ruhe Möbel auszuwählen. Möbel seien keine Waren wie andere Waren. Es klang schon fast so, als ginge es nicht um Doppelcouch und Beistelltisch, sondern als habe das Haus die tieferen Werte unserer Gesellschaft anzubieten, Werte jedenfalls, für die es angemessen sei, den einen oder anderen Sonntag dreinzugeben.
Und die Politik? Sie ignoriert den Widerspruch der Kirchen und Gewerkschaften. Einige Gemeinderatsmitglieder geben an, es sei für sie ein schwieriger Abwägungsprozess gewesen. Der Bürgermeister – christlich und sozial, wie er denkt – gab frohgemut zu Protokoll, daran werde das christliche Abendland nicht untergehen. Darin hat er Recht. Das Abendland, so hoffen wir, wird auch das Wirken einiger Kommunalpolitiker überleben.
Ausblick: Das Möbelhaus – gottlob weit ab von den noblen Wohnlagen der Gemeinde – wird einen Ansturm erleben. Von der versprochenen Muße, in der die Konsumentscheidungen heranreifen könnten, wird nicht mehr die Rede sein. Die Politiker werden demnächst ein Seminar besuchen, in dem auf hohem Niveau der Wertverlust unserer Gesellschaft beklagt werden wird. Und nach den nächsten Katastrophen, wie in Freising und Erfurt, werden wir wieder ratlos fragen, wie solches möglich sei, wo doch der jungen Generation alles geboten werde.
Ist ein solches Denken nicht zu hochgegriffen? Darf man solche Zusammenhänge herstellen? Nein, aber doch auch wieder ja: Die Entleerung und Verarmung des Lebens vollzieht sich in kleinen Schritten.