Übers Zeit-Management
Während uns die Botschaft des Advent auf das wachsame Warten gleich den »Wächtern sehr hoch auf der Zinne« einstimmen will, leiden wir an der Flüchtigkeit der Zeit. Gera-de in den vorweihnachtlichen Wochen scheint sich die Zeit noch mehr zu beschleunigen. Unser Problem ist nicht, dass uns die Zeit zu lang würde, sondern dass Weihnachten zu schnell kommt. Gewiss, auch das Jahr über stehen wir unter dem Eindruck, dass die Zeit nur so dahin fliegt. Schon kurz nach dem Neujahrstag stellen wir fest, dass schon wieder ein Monat, ein Vierteljahr ins Land gezogen ist. Oder wer hätte nicht gefühlt, wie insbe-sondere die zweite Urlaubshälfte uns zwischen den Fingern zerrinnt. Gäbe es nicht die Uhr, die unsere Stunden mit unbestechlicher Objektivität zählt, die meisten von uns würden Eide darauf schwören, dass die Zeit heute schneller vergeht als früher.
Die Zeit ist ein knappes Gut geworden. Knappe Güter, sagen uns die Ökonomen, müssen bewirtschaftet werden. Also beugen wir uns dem Zeitmanagement, das uns wohlmeinen-de Menschen nahe legen. Aber auch das führt nicht zum Erfolg. Je mehr Termine wir in-einander schichten, um so rascher vergeht der Tag. Zeit ist ein so knappes Gut gewor-den, dass manche Zeitgenossen (vor allem solche, die es sich leisten können) den Spruch »Zeit ist Geld« für sich schon längst umgedreht haben. Sie geben Geld drein und verzich-ten auf Einkommen, um sich frei zu kaufen und Zeit für sich zu gewinnen.
Es gibt freilich nicht wenige Menschen, denen die Zeit lähmend langsam vergeht: das Mädchen, das auf ihren Freund im Auslandseinsatz wartet und ihm dann mit der schönen bayerischen Liebeserklärung um den Hals fällt: »Du, ich hab so Zeitlang g’habt nach dir«. Oder die Frau, der die Tage bis zur Diagnose, ob der Befund gutartig oder bösartig ist, bleiern lange erscheinen. Oder der alte Mann auf der Pflegestation, der auf den Be-such seines Sohnes wartet. Der Blick zur Tür spricht Bände. Es prallen zwei »Zeitwelten« aufeinander, wenn der pflegebedürftige Vater vom eiligen Sohn hört, was noch alles zu erledigen sei, wie er beobachtet, dass dieser schon zum dritten Mal auf die Uhr schaut, und wenn er beim »Du, ich muss jetzt los« wortlos nickt. Es gibt Menschen, deren Zeit vom Warten bestimmt ist, und es gibt Menschen, denen jede Wartezeit eine verlorene Zeit ist.
Zum Schluss noch eine Last-Minute-Geschenkidee: Wenn Sie wieder mal nicht wissen, was Sie Ihrem betagten Vater oder Ihrer allein stehenden Tante schenken sollen, sagen Sie nicht: »Die haben eh schon alles«. Wie wäre es mit einer nicht zu schmal bemesse-nen Portion Zeit? Ganz sicher das gegenwärtig aktuellste Geschenk. Zugleich für uns selbst ein heißer Tipp mitten im Winter. Wenn wir uns auf diese Weise Zeit nähmen, hätten wir auch für uns eine Zeit heraus geschlagen.