Stiefkind Familie
An politischen Bekenntnissen hat es nie gefehlt. Die Programme der Parteien sind ihr zu-getan. Selbst die jeweiligen »Wahlplattformen«, auf denen viele Wahlversprechungen Raum finden müssen, räumen ihr regelmäßig ein »Gemeinplätzchen« ein. Um die Familie, könnte man meinen, braucht man sich bei so wortreicher Zustimmung nicht zu sorgen.
Schwer geirrt. Den großen Worten sind bisher nur schmächtige politische Taten gefolgt. Nach wie vor haben die jungen Frauen und Männer, die eine Familie gründen, schwere Einkommensverluste hinzunehmen. Bei den unteren Einkommen führt die Entscheidung für Kinder nicht selten in die Armut. Nach wie vor gibt es in den meisten Bundesländern noch kein Landeserziehungsgeld. Nach wie vor sind Wirtschaft und Gesellschaft, wie es einmal der Bielefelder Soziologe Franz Xaver Kaufmann formuliert hat, strukturell rück-sichtslos gegenüber der Familie. Wenn das von allen möglichen Instanzen in Anspruch genommene Wort von der »Familie als der Keimzelle der Gesellschaft« wahr ist – und es ist wahr –, dann versündigt sich die Politik permanent an der Zukunft unserer Gesell-schaft.
Heute aber genügt es nicht, nur die Familienförderung einzuklagen. Wir müssen auch auf die Richtung der Familienförderung achten. Hellhörig macht eine unverhüllte Aussage der schleswig-holsteinischen Ministerpräsidentin Simonis: keine Mark mehr will sie für die Erhöhung des Kindergeldes, sondern das ganze Geld für Kinderkrippen, Kindergärten, Kinderhorte, Ganztagsschulen, das heißt für Familienersatzinstitutionen. Die Ministerpräsidentin spricht damit nur aus, was sich ohnehin als politische Tendenz zeigt. Genau besehen heißt das aber, dass die Eltern, die sich selbst stärker der Erziehung ihrer Kinder widmen wollen, abgestraft werden sollen. Nicht mehr die familiäre Kindererziehung genießt so den besonderen Schutz und die Förderung des Staates, sondern die Delegation der Erziehung an gesellschaftliche Einrichtungen. Das ist keine harmlose Uminterpretation des Artikels 6 unserer Verfassung. Worauf wir Christen drängen müssen ist, dass die Eltern in die Lage versetzt werden, sich in die familiären Aufgaben zu teilen und frei zu entscheiden, wie sie Erwerbsarbeit und Familienarbeit aufeinander abstimmen. Alles andere ist ein Schlag gegen die Autonomie der Familie, der darauf zielt, sich durch Geld den Elternwillen gefügig zu machen. Kehrt gegenwärtig das sozialistische Erziehungside-al auf leisen Pfoten zurück? Und das unter dem Beifall der Wirtschaftskreise, die offen-sichtlich im derzeitigen Produktionsprozess keinen Ausfall von erziehenden Vätern und Müttern dulden wollen? Das Wohl des Kindes – und die Zukunft der Gesellschaft, so scheint es – stehen nicht auf der Tagesordnung.