Sprachregelungen
Die geistige Auseinandersetzung in unserer Gesellschaft scheint immer mehr zu einem Kampf darum zu werden, wer zentrale Begriffe mit bestimmten Inhalten zu füllen ver-mag. Dies lässt sich gegenwärtig, da jeden Tag irgendein Ethikrat zusammengestellt wird – und manche immer noch meinen, dies sei Ausdruck großer moralischer Nachdenklich-keit –, besonders schön beobachten.
Natürlich spricht sich niemand offen gegen die Unantastbarkeit der Menschenwürde aus. Niemand würde das wagen. Aber in Frage gestellt wird, wem Würde zukommt und an welche Voraussetzungen sie gebunden sei. Die schlichte Antwort, dass jeder Mensch in allen Phasen seines Lebens und unbedingt, das heißt unabhängig von Entwicklungsstufen, Eigenschaften und Fähigkeiten in seiner Würde zu achten ist, wird geleugnet. Die Um-wertung der Werte erfolgt über die Umdeutung der Begriffe und über Sprachregelungen.
Die Befürworter einer Forschung am menschlichen Embryo, die in dessen Tötung mün-det, rechtfertigen sich damit, geforscht werde ja ausschließlich an »überzähligen« Emb-ryonen. Im Klartext heißt das: Wer könne etwas dagegen haben, wenn ein Menschenle-ben, das niemand mehr brauche, einer sinnvollen Zweckbestimmung zugeführt würde. Die beiden Bonner Forscher, die mit Rückendeckung ihres Ministerpräsidenten jetzt die Freiheit der Embryonenforschung heftig einfordern, haben in ihrer Rechtfertigungsrheto-rik noch höher gegriffen: Verwendet würden ja nur Embryonen, die »ohnehin schon dem Tod geweiht« seien. Die fromme Sprache bemäntelt eine brutale Wirklichkeit. Denn »dem Tod geweiht« heißt zur Tötung ausgesondert. Wer zur Tötung ausgesondert wird, hat weder Recht noch Würde, wenn der gute Zweck es verlangt.
Mit einem eigenen Sprachspiel hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft diese Diskussi-on angereichert. Sie versucht ihr plötzliches Ja zur Embryonenforschung und die Abkehr von bisher festgehaltenen Prinzipien folgendermaßen zu entschuldigen: Der »Rubikon«, das heißt die Grenze des moralisch Erlaubten, sei schon überschritten worden, als die künstliche Befruchtung im Reagenzglas erlaubt wurde, und es sei unrealistisch anzuneh-men, dass unsere Gesellschaft jetzt noch zurück könne. Richtig daran ist, dass es für Rechtsgemeinschaften immer schwierig ist, Fehlentwicklungen zu entdecken und umzu-kehren. Aber was ist das für eine Argumentation, welche die eigene Entscheidung durch den Verweis auf frühere Fehlentscheidungen zu rechtfertigen versucht? So als gäbe es dadurch heute keine Freiheit für verantwortetes Handeln mehr. Andere, welche die For-schung am Menschen noch weiter vorantreiben wollen, werden sich später wiederum darauf berufen, dass der Rubikon bereits im Jahr 2001 überschritten worden sei.