Das Elend der Ethikräte
An sich könnten wir im Blick auf die moralische Sensibilität in der deutschen Gesell-schaft beruhigt sein. Kaum jemals zuvor gab es eine so breite Diskussion wie jetzt über die Forschung am Menschen und mittels des Menschen in seiner embryonalen Phase. E-thische Foren und Kommissionen wohin man blickt. Die Bioethik hat als Thema die Labo-ratorien der Wissenschaft und der interessierten Wirtschaft verlassen. Der Druck aller-dings auf die Politik, endlich die gesetzlichen Fußfesseln zu lösen, die den Fortschritt behindern und den Wettbewerb erschweren, wird auch nicht mehr in der Diskretion der Lobby, sondern unverhüllt ausgeübt. Eifrig werden die beiden Hauptgebote der »Un-Ethik« – so nannte sie neulich ein Moraltheologe – ins Feld geführt. Erstens: Die Entwick-lung lässt sich ohnehin nicht mehr aufhalten. Zweitens: Wenn wir es nicht machen, ma-chen es die Anderen.
Dass in dieser Situation der Bundeskanzler höchstpersönlich ein Beratungsgremium aus der Taufe gehoben und ihm den großen Namen »Nationaler Ethikrat« gegeben hat, wür-de von daher der Logik nicht entbehren. Wenn man nicht den Eindruck gewonnen hätte, dieser »Rat« verdanke sich weniger der Unschuld ethischer Orientierungsbedürftigkeit als einem ganz bestimmten politischen Interesse. Bedeutungslos wurde mit dieser Krea-tion die unbequeme Ethikkommission beim Bundesgesundheitsministerium, die weiter bestehen, aber »neue Aufgaben« erhalten soll. Da ist ferner die vom Bundestag berufene Enquete-Kommission, die den demokratischen Gesetzgeber in denselben Fragen berät und sich als Einrichtung des Parlaments, wenn schon, mit etwas größerem Recht natio-naler Ethikrat hätte nennen dürfen. Was soll die machtvolle Einsetzung eines nationalen Ethikrats, wenn dessen Initiatoren gleichzeitig gegen eine noch standhafte, auf die Ver-fassung eingeschworene Justizministerin, die Aushebelung des Embryonenschutzgesetzes betreiben? Welchen Sinn hat es, dass Vertreter der Gewerkschaften und Arbeitgeber und verdiente Parteileute im nationalen Rat sitzen? Man wird das Unbehagen nicht los, dass hier nicht diejenigen, die in der Demokratie die unmittelbare Verantwortung tragen, be-raten werden sollen, dass vielmehr die Empfehlungen des nationalen Ethikrats zum Alibi für die Verantwortlichen werden könnten.
Nimmt man noch dazu, dass auch Bundesländer, Bayern voran, eigene Ethikräte bestel-len wollen, wenn morgen also eine »Landesethik« gegen eine »Bundesethik« antreten wird, dann wird endgültig klar: Wir gehen schönen Ethikzeiten entgegen. Die Kirche wird sich fragen müssen, ob sie sich auf ein solches Spiel, zu dessen Regelwerk es gehört, die ethische Frage dem politischen Ziel gefügig zu machen, einlassen kann. Die Ethikräte sind längst selbst zum ethischen Problem geworden.