Nichts als Bekenntnisse
Es ist noch nicht so lange her, da beherrschte ein Begriff die politische Diskussion: die deutsche Leitkultur. In gewisser Weise war dies der geistige Gegenschlag gegen die behauptete multikulturelle Gesellschaft. Was war das für eine Hochzeit der Bekenntnisse und Verwerfungen.
Dann war Schluss mit Leitkultur. Plötzlich stand eine andere Frage unabweislich im Raum, nämlich ob wir stolz sein dürften oder sollten, Deutsche zu sein. Das war wieder so ein Thema ganz nach dem Geschmack der Talkshowproduzenten, die natürlich wissen, wie unterhaltsam es sein kann, wenn sich die richtige Runde trifft: der eingebürgerte Türke, der sich voll Stolz in die deutsche Brust wirft; der Grüne, der sich voll Ekel beim nationalen Gedanken windet; die Politiker der staatstragenden Parteien, die sich bedeckt halten, weil sie noch nicht recht wissen, wieviel Bekenntnis oder Verleugnung passend ist; schließlich einer, der die Globalisierung verkörpert – russische Mutter, brasilianischer Vater, Wohnsitze in New York, Hongkong und Wiesbaden –, der im Wesentlichen nur auf sich selbst stolz ist.
In der Folge nahm sich auch der Bundespräsident der Frage mit großem Ernst an. Der Kanzler, das Schlitzohr, sagte locker, er liebe Deutschland, und sagte es so, als sei er über seine Zigarren befragt worden. Zuletzt wurde daraus die berühmte Sonntagsfrage der Regionalzeitung. Sind Sie stolz, ein Deutscher zu sein, wurde der Gemüsehändler von Berganger gefragt. Er war ratlos; denn diese Frage hatte sich so für ihn noch nie gestellt.
Aber wer redet gegenwärtig noch über Nationalstolz? Heute frischen wir ein Thema auf, das uns schon früher begleitet hat. Ist Deutschland ein Einwanderungsland? Und gerade haben wir den strengen Satz von Rita Süssmuth vernommen, gesprochen bei Sabine Christiansen, wir sollten endlich den Mut haben, uns dazu zu bekennen, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Beifall brandet auf, wie immer, wenn ein Satz hohen moralischen Anspruch transportiert. Aber im Grunde geht es uns auch hier wie dem Gemüsehändler von Berganger: Wir sind ratlos. Wandern nicht jährlich über 200.000 Aussiedler und Ausländer bei uns ein? Das ist ein Faktum. Warum müssen wir uns dazu bekennen?
Wenn man es genau betrachtet, haben alle diese »großen« Themen eines gemeinsam: Im Zentrum stehen Wörter – Leitkultur, nationaler Stolz, Einwanderungsland –, die sich fast beliebig interpretieren lassen. Die Diskussion darüber bringt weder eine geistige Klärung noch einen politischen Schritt vorwärts. Dafür eignet sie sich trefflich für »Bekenntnisse« – und dafür, den Gegner moralisch in die Ecke zu stellen.