Viel beschworen und doch ein schwieriges Wort: Verantwortung
Steuerflucht, Wirtschaftskrise, Afghanistan, Kindesmissbrauch – wer kennt nicht die Stichworte, welche die Öffentlichkeit heute bewegen. Wer hätte es vergessen, wie sich die Themen ausweiten, wie aus punktuellen Krisensymptomen, die man leicht zu verorten und eindämmen zu können meint, gesellschaftliche, wirtschaftliche und kirchliche Erschütterungen entstehen. Und wer hätte schließlich nicht die schnellen Schuldzuweisungen, Selbstrechtfertigungen und das Ausfindigmachen von Sündenbö-cken verfolgt. Die Gesellschaft sucht nach Schuldigen. Genauer noch, sie sucht, weil sie den Sünden- und Schuldbegriff zu vermeiden trachtet, nach den „Verantwortlichen“. Kommissionen werden eingerichtet, Untersuchungsausschüsse und Runde Tische. Sie sollen Vergangenheit aufarbeiten.
Nun scheint die Sache einfach zu sein. Die Antwort ließe sich schnell finden. Verantwortlich ist der Steuersünder, der den Geldkoffer über die Schweizer Grenze trägt. Verantwortlich ist der Oberst, der in Kundus den Bombenangriff anforderte. Ver-antwortlich ist, wer sich an einem Kind vergreift... Wer woll-te dem widersprechen? Es ist die erste und nächstliegende Ant-wort auf die Verantwortungsfrage.
Darf man sich mit dieser ersten Antwort, die ja sicher richtig ist, zufrieden geben? Nein. Und die Gesellschaft gibt sich auch nicht damit zufrieden. Denn neben der ersten und höchst persönlichen Verantwortung gibt es vielfältige Formen einer Mitverantwortung. Nämlich dort, wo Aufsicht und Kontrolle ver-nachlässigt wurden, wo Gelegenheiten, die zum Unrechtshandeln geradezu einladen, geschaffen wurden, wo Gutgläubigkeit statt Wachsamkeit herrschte, wo man die Augen zugemacht hat, anstatt hinzusehen. Neben den unmittelbar Verantwortlichen gibt es al-so oft einen Kreis von Mitverantwortlichen, die im Nachhinein erschrocken sind über das Geschehene, die auch nicht einfach als Mittäter diffamiert werden dürfen, die aber doch in das unglückselige Geschehen involviert sind.
Viele Zeitgenossen gehen nun viel weiter. Sie sagen, die Ge-sellschaft sei verantwortlich, die Kirche, der Staat oder die Wirtschaft. Aber diese Rede läuft auf den Bescheid hinaus, im Grunde seien alle schuldig. Die Aussage aber, dass alle ver-antwortlich seien, liegt nahe an der anderen Aussage, dass im Grunde niemand verantwortlich sei. Wir müssen aufpassen, dass die Verantwortung sich nicht plötzlich im gesellschaftlichen Niemandsland verliert.
Was aber sicher stimmt ist die Feststellung, dass alle Mit-glieder einer Gemeinschaft an dem Unrecht mittragen, das in den eigenen Reihen geschieht. Es gibt so etwas wie eine Grup-pensolidarität der Betroffenheit. Entscheidend ist nun, nicht bei dieser Betroffenheit stehen zu bleiben, sondern verant-wortliche Wege in die Zukunft zu finden.