Trotz allem: Die Wahl ist Pflicht
Wer sich im Laufe der Jahre und Monate noch keine Meinung gebildet hat, welcher Partei und welchen Politikern er am Sonntag das Vertrauen schenken soll, konnte im Laufe des Wahlkampfes nur schwerlich Klarheit gewinnen.
Eigentlich erwartet man, dass ein solcher Wahlkampf die politischen Unterschiede der Parteien scharf hervortreten lässt; dass Argument gegen Argument gestellt wird; dass schließlich die Wähler am Sonntag zu einer verantwortlichen Entscheidung gelangen.
Aber da sagen uns die Politologen genauso wie die Werbestrategen der Parteien: Völlig falsch! Der Wahlkampf habe im Wesentlichen nur die Aufgabe, die eigene Anhängerschaft zu mobilisieren. Entsprechend profillos präsentieren sich die Parteien und ihre Kandidaten. Die knappen Sprüche, die uns hier zugemutet werden, sind eher eine Beleidigung der Vernunft des interessierten Bürgers. Nur eine knappe Auswahl: Was Deutschland jetzt besonders brauche, sei der Zusammenhalt, sagt uns eine Partei, die mit ihrem eigenen inneren Zusammenhalt schon Schwierigkeiten hat. Ein Kandidat, von dem man vermuten darf, dass er für die Ausweitung des Niedriglohn-Sektors eintritt, kann es nicht lassen, den „Weisheitsspruch“ von sich zu geben, dass sich Leistung wieder lohnen müsse. Eine kleinere Partei überrascht uns mit der Forderung, dass die Kriminalität verboten werden müsse. Ein Kandidat wiederum lässt unter seinem Konterfei den Programmspruch abdrucken: „Es muss sich etwas ändern.“ Ja, dieser Meinung sind wir auch schon lange. Ein anderer Kandidat kokettiert damit, wie lange er uns sein Gesicht auf dem Wahlplakat vorenthalten könne. Die Überraschung: Der Ruf nach dem Foto war ungeheuer.
Das alles ist ziemlich niederdrückend. Das Spitzenduell in allen TV-Kanälen hat uns dieser Depression nicht entrissen. Warum nehmen wir all das hin? Sind wir selber schuld? Ist die Wählerschaft so individualisiert und in kleine und kleinste Interessengruppen zerfallen, so dass jede programmatische Aussage eher mehr Gegnerschaft als Zustimmung erzeugt? Dann, in der Tat, verbietet sich ja geradezu alles Programmatische. Dann reicht es aus, in einem Wettlauf bestimmte Wertbegriffe zu besetzen. Dann ist es erfolgreicher, gesellschaftliche Stimmungen aufzunehmen.
Das wiederum würde sich durchaus vereinbaren mit der Mitteilung, die uns die empirischen Sozialforschungsinstitute vorlegen, dass nämlich eine Woche vor der Wahl mehr als die Hälfte der Bürgerinnen und Bürger noch völlig unschlüssig sei, ja dass viele erst auf dem Gang zur Wahlkabine sich endgültig entschieden. Freilich ist zu befürchten, dass die Mehrheit der Unentschiedenen ganz auf die Wahl verzichtet.
Und wir Christen? Wir dürfen uns nicht wegstehlen aus der politischen Verantwortung. Die Wahl ist eine Pflicht.