Was kommt nach der Krise?
Wir sind noch nicht auf der Talsohle des wirtschaftlichen Einbruchs angekommen. Viele Banken überraschen uns immer von neuem mit Milliardendefiziten. Die Produktion muss in vielen Wirtschaftszweigen zurückgefahren werden. Aufträge schwinden. Viele Arbeitnehmer leben in großer Unsicherheit. Obschon auch hier eine Zwei-Klassen-Gesellschaft sichtbar wird: Die Leiharbeiter wurden als erste weggeschickt und finden sich häufig in der Arbeitslosigkeit wieder. Die Stammbelegschaften hingegen werden über Betriebsferien und Kurzarbeit gehalten. Auch die Stützungsaktionen der Politik für die Unternehmen kennen zwei Klassen: Kommen die Großen in Turbulenzen, läuten die Alarmglocken; kommt ein kleiner mittelständischer Zulieferer in Bedrängnis, erregt das weder Öffentlichkeit noch Politik.
Ist es auf dem Höhepunkt der Krise überhaupt erlaubt, über das Danach nachzudenken? Zweifellos ja, denn jetzt werden die Weichen für das Denken und Handeln in der Zukunft gestellt, wenn wir hoffentlich das Tal durchschritten haben werden.
Wird dann der Staat, an den sich jetzt alle klammern, wieder als Störenfried für eine effektive freie Wirtschaft gelten, wird man seine Regulierungsaufgabe bald wieder in Frage stellen? Aber was heißt hier Staat! Es ist die Solidarität aller, vor allem aller Steuerzahler, die heute in Anspruch genommen wird – und auch wohl notwendig ist. Wird hinterher das Bewusstsein, dass wir alle in einem Boot sitzen, wieder wie weggeblasen sein, wird es in die Ecke der Sozialromantik gerückt und vielleicht nur noch für einige Zeit in den Seminaren der politischen Stiftungen kultiviert werden? Ich denke, die Politik muss heute schon das Morgen im Auge haben. Nichts wäre für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft und für das Vertrauen in die Politik verheerender als die Erfahrung, dass heute die nicht wie ein Schicksal hereingebrochenen Verluste sozialisiert, das heißt von allen aufgefangen werden, und dass dann morgen oder übermorgen die Gewinne ganz selbstverständlich individualisiert werden. Nichts wäre unerträglicher, als wenn diejenigen, die gestern an den Hebeln der wirtschaftlichen Macht saßen und die sich heute auf die gesamtgesellschaftliche Solidarität verlassen können, danach wieder zur einfachen Formel „Leistung muss sich lohnen“ zurückkehren würden. So als sei der Erfolg ihrer höchstpersönlichen Effizienz zuzuschreiben, und nicht dem Zusammenwirken aller.
Vielleicht ist jetzt der Zeitpunkt, die Gewinnbeteiligung und den Investivlohn für die Arbeitnehmer politisch ernsthaft auf die Tagesordnung zu setzen, und nicht nur, wie seit Jahrzehnten, in Wahlprogrammen zum besten zu geben.