Die Einstiegsfrage: „Was schätzen Sie, wie viele Mädchen und Jungen in Deutschland sind von sexuellem Missbrauch betroffen?“ Miriam Strobl blickt in die Runde der Auszubildenden des Erzbischöflichen Ordinariats, die sich in einem Konferenzraum versammelt haben. Die Erzieherin und Sozialpädagogin ist eine von mehreren Präventionsbeauftragten der Erzdiözese München und Freising. Die jungen Männer und Frauen erlernen Berufe wie Bürokaufmann, Immobilienkauffrau oder Fachinformatiker für Systemintegration.
Zu ihrer Ausbildung gehört auch die Präventionsschulung. Denn in der Erzdiözese werden nicht nur kirchliche Mitarbeitende geschult, die intensiven Kontakt mit Kindern und Jugendlichen haben, wie Lehrkräfte, Seelsorgerinnen und Seelsorger oder Erzieherinnen. Auch andere Berufsgruppen wie Pfarrsekretärinnen, Verwaltungsangestellte und eben die Auszubildenden nehmen an Schulungen teil. Am Anfang sieht man einigen an, dass sie sich mit dem Thema nicht wohl fühlen – doch das gibt sich bald.
Täter gehen strategisch vor
Ein junger Mann hat einen Vorschlag. „16 Prozent der Jungen und Mädchen?“, fragt er und hofft zugleich, dass die Zahl zu hoch ist. Leider nicht, denn die Realität ist schlimmer. Die Runde blickt betreten, als Miriam Strobl berichtet, dass jedes dritte bis fünfte Mädchen und jeder neunte bis zwölfte Junge sexuellen Missbrauch erfährt. In jeder Schulklasse sitzen statistisch gesehen ein bis zwei Betroffene. Miriam Strobl erklärt, dass mögliche Täter aus allen gesellschaftlichen Schichten kommen. Dass Täterinnen eine Minderheit von fünf bis zehn Prozent sind. Dass sich die meisten Missbrauchsfälle in der eigenen Familie ereignen, aber auch in Bereichen, wo man Tätern ein gewisses Vorab-Vertrauen entgegenbringt, wie in Sportvereinen oder kirchlichen Gruppen.
Die Täterpersönlichkeiten sind sehr unterschiedlich, aber alle gehen ganz strategisch vor bei der Suche nach Personen, die sie missbrauchen können. Dabei haben sie gezielt vulnerable Personen im Blick: Etwa kleine Kinder, die oft noch nicht benennen können, was mit ihnen geschieht, oder Menschen mit geistiger Behinderung. Bis heute glauben Erwachsene Kindern viel zu selten, wenn sie über Missbrauchserfahrungen berichten. „Dabei denkt sich kein Kind so etwas aus“, weiß Miriam Strobl. Oft müssten betroffene Kinder mit mehreren Personen sprechen, bis man ihnen endlich hilft und dann gegen die Täter ermittelt wird.
Einige der Auszubildenden beteiligen sich an der Diskussion zwischen den verschiedenen Informationsblöcken. Andere bleiben still und nachdenklich. Die mitgebrachten Informationsbroschüren werden von allen eingesteckt. „Auch Ihnen kann es passieren, dass Sie mit dem Thema zu tun bekommen, sei es in der Arbeit, beim Ehrenamt oder im Freundeskreis. Mit dem, was man Ihnen anvertraut, müssen Sie nicht alleine zurechtkommen“, erklärt Miriam Strobl den Auszubildenden und verweist auf die verschiedenen Hilfsmöglichkeiten im Erzbischöflichen Ordinariat.
Schutz durch Sensibilisierung
Wichtig ist auch folgender Hinweis: Alle haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden sind verpflichtet, Fälle oder Verdachtsfälle von sexuellen Übergriffen und Missbrauch unmittelbar und unverzüglich an die unabhängigen Ansprechpersonen zu melden. Gemeinsam mit dem Interventionsbeauftragten im Ordinariat kümmern sich diese um die weiteren Schritte.
Vor allem geht es um den Schutz der Betroffenen. „Die Beteuerung eines Täters, es tue ihm leid, ist nichts wert, denn die bloße Beteuerung hat bei Missbrauchstätern keinen Einfluss auf das Wiederholungsrisiko“, betont Miriam Strobl. Insofern sind Präventionsschulungen unverzichtbar. Je mehr Menschen aus allen Berufsgruppen für das Thema sensibilisiert werden, umso besser der Schutz von Kindern und anderen vulnerablen Personengruppen.
Schulungen zur Prävention
Einen hohen Stellenwert haben in der Erzdiözese München und Freising Präventionsschulungen. Neben Mitarbeitenden und Ehrenamtlichen, die regelmäßigen Kontakt mit Kindern und Jugendlichen haben, nehmen auch Verwaltungsangestellte daran teil.