Mit großer Wucht gelangte im Jahr 2010 das Thema sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche und auch in der Erzdiözese München und Freising in die Öffentlichkeit. Seitdem ist viel passiert: Besonders in der Prävention hat die Erzdiözese schnell und effektiv Strukturen und Methoden entwickelt, die sicherstellen, dass alle, die im Kontakt mit Minderjährigen sind, sich ihrer besonderen Verantwortung bewusst sind. Menschen, die Verantwortung für Kinder oder Jugendliche übernehmen, müssen sich mit der Prävention von sexuellem Missbrauch befassen – nur so kann eine Kultur der Achtsamkeit langfristig etabliert werden. Eine Kultur, in der Übergriffe keinen Platz haben und die es erlaubt, dass sich die uns anvertrauten Kinder und Jugendlichen mit ihren Ängsten und Nöten vertrauensvoll an uns wenden.
Die Kirche ist selbstkritischer geworden
Bereits 2012 entwickelte die Erzdiözese in Zusammenarbeit mit der päpstlichen Universität Gregoriana und der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universitätsklinik Ulm ein E-Learning-Programm zur Prävention von sexuellem Missbrauch, mit dem alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Seelsorge verpflichtend geschult werden. Von Beginn an haben wir an der Entwicklung dieses E-Learning-Curriculums mitgewirkt, so dass wir nun seit mehr als zehn Jahren in der Prävention von sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche arbeiten. Wir haben miterlebt, dass nicht nur neue Strukturen aufgebaut wurden, um Betroffene adäquat zu unterstützen und Missbrauch zu verhindern, sondern dass sich auch im allgemeinen Bewusstsein viel geändert hat. Die Kirche ist selbstkritischer geworden, hinterfragt sich ehrlich und hat bereits viele Veränderungen auf den Weg gebracht. Das ist der Grund, warum wir auch nach zehn Jahren noch gerne in diesem Bereich arbeiten.
Enge Zusammenarbeit mit Betroffenen
Die Präventionsangebote richten sich in erster Linie an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, denn gemäß des Präventionsansatzes der Erzdiözese liegt die Verantwortung für den Schutz von Minderjährigen vor sexuellen Übergriffen bei uns Erwachsenen. Ausgehend von dieser Überzeugung schulen wir nicht nur die Seelsorgerinnen und Seelsorger, sondern auch Ehrenamtliche und alle Mitarbeitenden außerhalb der Seelsorge, die in Kontakt mit Minderjährigen sind. Ein weiterer wichtiger Baustein unserer Arbeit ist die Unterstützung der Pfarreien bei der Entwicklung der institutionellen Schutzkonzepte, in denen alle Bemühungen um die Prävention von sexualisierter Gewalt gebündelt werden.
Die konsequente Berücksichtigung der Perspektive von Betroffenen war und ist für unsere Arbeit handlungsleitend. Seit vielen Jahren arbeiten wir eng mit Betroffenen zusammen, die nicht nur als Referentinnen und Referenten die Stabsstelle bei Fortbildungen unterstützen, sondern die gesamte Präventionsarbeit konstruktiv begleiten. Aktuell wirkt Dietmar Achleitner, Mitglied des Betroffenenbeirats, in nahezu allen Schulungsformaten mit und berichtet mit bemerkenswerter Offenheit darüber, welche Auswirkungen der erlebte Missbrauch und seine Konsequenzen auf sein gesamtes Leben haben. Eben dieser Teil der Fortbildung wird von den Teilnehmenden als äußerst bereichernd und berührend erlebt.
In Kooperation mit Betroffenen und dem Betroffenenbeirat konnten wir auch Veranstaltungen wie das Format „Betroffene hören“ realisieren. Im Zentrum stand dabei, dass Betroffene zu Wort kommen, gehört werden und die Möglichkeit haben, den erlittenen Missbrauch und die damit verbundenen Konsequenzen in unterschiedlicher Weise zu thematisieren. Wir sind dankbar für die sehr gute Zusammenarbeit mit dem Betroffenenbeirat und das Vertrauen, das uns von vielen Betroffenen entgegengebracht wird.
Christine Stermoljan und Lisa Dolatschko-Ajjur, Leiterinnen der Stabsstelle Prävention