Frauen und Erinnerungskultur

Frauengeschichte im Kirchenarchiv

Todessturz der Fanny von Ickstadt vom Nordturm der Münchner Frauenkirche. Kupferstich, 1785
Auch wenn viele es vielleicht nicht erwarten würden: Das Archiv des Erzbistums München und Freising bietet eine Fülle von Quellen zu ganz unterschiedlichen Aspekten des Lebens von Frauen in Bayern vom 15. bis zum 20. Jahrhundert.
Pfarrmatrikeln (Tauf-, Trauungs- und Sterbebücher) geben Auskunft über das "normale" Schicksal als Ehefrau und Mutter, aber auch über uneheliche Geburten und Krankheiten. „Sittlichkeits“-Akten beschäftigen sich speziell mit Frauen, die mehrfach unehelich ein Kind zur Welt brachten, und spiegeln so soziale Nöte des 19. Jahrhunderts. Nonnenklöster sind ebenso Thema wie die bischöfliche Haltung zum Frauenstudium und der Todessturz der 17-jährigen Fanny von Ickstatt vom Turm der Frauenkirche, der im München des späten 18. Jahrhunderts großes Aufsehen erregte. Die Protokolle der kirchlichen Ehegerichte geben Auskunft über Ideal und Realität von Partnerschaft und Ehe in Spätmittelalter und Früher Neuzeit.
Die Dokumente über Leben und Wirken bedeutender Frauen reichen von der Münchner Karmelitin und Seherin Maria Anna Lindmayr (1657-1726) bis zu Ellen Ammann (1870-1932), der aus Schweden stammenden Gründerin des Katholischen Frauenbundes in Bayern und Abgeordneten des Bayerischen Landtags.
Ein Großteil der genannten Quellen ist bereits digitalisiert und online über das Digitale Archiv des Erzbistums nutzbar.
 

Eine barocke Seherin: Maria Anna Lindmayr (1657-1726)

Maria Anna Lindmayr als Terziarin des Karmelitenordens. Ölgemälde, 1704.
1657 in München als Tochter eines herzoglichen Kammerdieners geboren, wuchs Maria Anna in einer frommen und wohltätigen Familie auf. Mehrere der 15 Kinder gingen ins Kloster oder wurden Priester.
Bereits in der Kindheit zeigte sich bei Maria Anna eine mystisch-visionäre Begabung. Mehrere Versuche, in ein Kloster einzutreten, scheiterten an mangelnder Mitgift oder an Erkrankungen. So gelobte sie freiwillig Armut, Keuschheit und Gehorsam. Unter Anleitung ihrer Beichtväter unterwarf sie ihren Körper Fasten und Kasteiungen. Zunehmend erlebte die Lindmayrin „Zustände“: Ihr Körper erstarrte, sie sprach „von göttlichen Dingen“. In Visionen sah sie über 400 Arme Seelen im Fegfeuer, für die sie stellvertretend Sühne leistete.
1691 wurde Maria Anna Terziarin des Karmelitenordens und lebte fortan nach dessen strenger Regel in der Welt. Immer mehr Bürger und Adelige erbaten von ihr Rat, selbst weibliche Mitglieder der Herrscherfamilien. Doch einige Geistliche betrachteten dies mit Skepsis und veranlassten eine bischöfliche Untersuchung. Ihr wurde aufgetragen, ihr Leben und ihre Visionen aufzuschreiben.
Im Spanischen Erbfolgekrieg bewog sie die Münchener Stände, den Bau der Dreifaltigkeitskirche zu geloben, und erwirkte schließlich auch, dass mit dem Kirchenbau ein Kloster für Unbeschuhte Karmelitinnen verbunden wurde. 1713 legte sie hier als Schwester Maria Anna Josepha a Jesu ihre ewige Profess ab. Sie wirkte im Kloster fortan als Krankenschwester, als Priorin und schließlich als Novizenmeisterin. Weiterhin wurde ihr Rat von vielen gesucht. Am 6. Dezember 1726 starb Maria Anna im Ruf der Heiligkeit.
Ihre autobiographischen Aufzeichnungen sind ebenso seltene wie kostbare Ego-Dokumente einer Frau der Frühen Neuzeit. Ihr ausgedehnter Briefwechsel stellt eine bislang kaum ausgeschöpfte Quelle zur bayerischen Kirchen- und Landesgeschichte dar.
 

Hexe oder Helferin? Theresia Gschwandler (+1770)

Normalerweise sind Einträge in alten Sterbebüchern sehr knapp. Doch die Pfarrer von Egern am Tegernsee haben im 18. Jahrhundert kleine Nachrufe verfasst, die uns zahlreiche Frauenschicksale überliefern.
Eines der bemerkenswertesten ist das von Theresia Gschwandler. Die Wirtstochter hatte in eine Rottacher Bäckerei eingeheiratet. Mit 32 Jahren war sie zum zweiten Mal verwitwet und musste nun allein für ihre acht Kinder sorgen, was sie vorbildlich tat. Darüber hinaus betätigte sie sich mit großem Erfolg als Hebamme und Heilerin, was ihr von manchen aber den Vorwurf der Hexerei einbrachte.
Doch als sie 40-jährig 1770 starb, würdigte der Pfarrer im Sterbebuch nicht nur ihre Tapferkeit und Uneigennützigkeit, sondern staunte auch, „dass uns in einer Frau ein Hippokrates entrissen wurde“.
 

Ein „seltenes Beyspiel männlicher Bravour“: Maria Anna Petronilla von Obernberg (1750-1793)

Maria Anna Petronilla von Obernberg. Foto nach einem verschollenen Ölgemälde
Richtertochter, Richterfrau und Richterwitwe, wiederum Richterfrau und dazu 17-fache Mutter war Maria Anna Petronilla von Obernberg. Alle wichtigen Daten ihres – zeittypischen und doch ungewöhnlichen – Lebenslaufs lassen sich in Quellen aus Archiv und Bibliothek des Erzbistums verfolgen.
1770 heiratete der Miesbacher Richter Georg von Spitzl die Tochter seines Amtsvorgängers. Beim Miesbacher Stadtbrand 1783 gab sie ein „seltenes Beyspiel männlicher Bravour“, als sie für die Rettung der Gerichts-Registratur sorgte. Im Jahr darauf starb, während sie zum zwölften Mal schwanger war, ihr Mann. Noch vor der Entbindung wurde die 34-jährige Witwe Frau des 23-jährigen Juristen Ignaz Joseph von Obernberg, der mit ihr auch das Miesbacher Richteramt übernahm.
Nach Geburt von fünf weiteren Kindern starb sie im Alter von 42 Jahren 1793 an einer „langwierigen Abzehrung“. Auf ihren eigenen Wunsch hin wurde ihr Leichnam obduziert, weil dies „ihr nicht mehr schaden, anderen aber … vieles nutzen“ könne. Der Miesbacher Pfarrer würdigte die Verstorbene als „mildthätige Menschenfreundin“, „Kluge, getreue Ehegattin und sorgfältige Mutter gegen ihre Kinder“ sowie als „sehr erbauliche Christin“.
 

Zwischen Frauenbund und Landtag: Ellen Ammann (1870-1932)

Kondolenzschreiben des Münchner Erzbischof Michael Kardinal von Faulhaber
Ihre Heirat mit dem Orthopäden Dr. Ottmar Ammann führte die Schwedin Ellen Sundström 1890 nach München. Neben ihren Aufgaben in der Klinik ihres Mannes und als Mutter von sechs Kindern entfaltete Ellen Ammann ein beindruckendes kirchliches, soziales und politisches Engagement.
Sie rief 1897 die Münchner Bahnhofsmission ins Leben und war 1903 an der Gründung des Katholischen Frauenbundes beteiligt, dessen bayerischem Landesverband sie vorstand. 1909 begründete sie auch die „Sozial-karitative Frauenschule“ zur Ausbildung von Sozialarbeiterinnen, die in der Katholischen Stiftungsfachhochschule bis heute weiterlebt.
1919 wurde sie für die Bayerische Volkspartei in den Landtag gewählt. Hier setzte sie sich vor allem für Themen der Jugend- und Wohlfahrtspflege, des Gesundheitswesens und der Frauenrechte ein. Unerschrocken handelte sie 1923 als „der einzige Mann im Landtag“ angesichts des Hitler-Putsches, nachdem sie zuvor schon die Ausweisung Adolf Hitlers aus Bayern gefordert hatte.
Ellen Amman starb 1932 kurz nach einer Landtagsrede. Ihr Ansehen spiegelt sich in der Fülle von Kondolenzschreiben hochgestellter Persönlichkeiten, die an den Witwer gingen. Sie sind – neben vielen weiteren Zeugnissen ihres Lebens und Wirkens – Teil einer umfangreichen Dokumentensammlung, die das Archiv des Erzbistums zu Ellen Ammann besitzt.
 

Unter dem NS-Regime: Die tapferen Frauen von Holzkirchen

1946 hatten alle Pfarrer des Erzbistums dem Ordinariat darüber Auskunft zu geben, wer aus ihrer Gemeinde unter dem NS-Regime von Verfolgung betroffen war. Vielfach konnten sie mutiges Verhalten von Frauen melden, so auch der Pfarrer von Holzkirchen:
Eine Hausbesitzerin nahm die aus dem Kindergarten vertriebenen Ordensfrauen bei sich auf und riskierte dafür den Ausschluss aus der NS-Frauenschaft und -Volkswohlfahrt. Eine weitere Frau äußerte im Kolleginnenkreis Kritik am „Tschecheiüberfall“ als einem „Raubzug“ und verlor dafür ihren Arbeitsplatz. Gleich mehrere Frauen protestierten gegen die Entfernung der Kreuze aus den Klassenzimmern und handelten sich damit eine strenge Verwarnung des Ortsgruppenleiters ein.
Die schlichten Fragebögen von 1946 in den Dokumentenmappen des Diözesanarchivs bilden ein stilles Denkmal ihrer Tapferkeit.
 
Texte: Dr. Roland Götz, Archiv und Bibliothek
 

Dieser Beitrag entstand auf Anregung der Blogparade "Frauen und Erinnerungskultur | #femaleheritage". Dazu eingeladen hat die Monacensia als „literarisches Gedächtnis Münchens“, um die Frauen in die Kulturgeschichte der Stadt zurückschreiben. Das Hashtag #femaleheritage steht für eine übergreifende Beschäftigung mit Kultur. Diese gesteht weiblich geprägten Perspektiven, Texten und Themen künftig eine ebenso wesentliche gesellschaftliche Bedeutung zu wie männlichen Sichtweisen und Lebenswirklichkeiten. Zugleich räumt sie dem weiblichen Vermächtnis entsprechenden Platz in der Erinnerungskultur ein.
Die Blogparade läuft von 11. November bis 9. Dezember.