#Deutungskämpfe: Die Auseinandersetzung um Erzbischof Michael von Faulhaber im Dritten Reich Von der Ehrenbürgerschaft bis zum Antrag auf Straßenumbenennung

Die Rolle des 35 Jahre lang amtierenden Münchner Erzbischofs Michael Kardinal von Faulhaber (1869-1952) während der NS-Zeit wird seit Langem kritisch hinterfragt. Dr. Roland Götz und Guido Treffler, Archiv und Bibliothek des Erzbistums München und Freising, stellen die Auseinandersetzung um den Erzbischof im Dritten Reich anlässlich der Blogparade #Deutungskämpfe vor. Dabei gehen sie vor allem auf die umstrittene Ehrenbürgerschaft der Stadt München sowie den Antrag auf Straßenumbenennung ein. Sie setzen die Diskussionen in Beziehung zur wachsenden Zugänglichkeit von Archivalien. Inwieweit deren Auswertung zu einer konsensfähigen Deutung führt, bleibt noch abzuwarten.
 
Straßenschild Kardinal-Faulhaber-Straße mit Zusatzschild
Kampf um die Deutungshoheit: Zusatzschild zum Straßenschild 2020
 
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Untergang der NS-Herrschaft erhielt das öffentliche Bild des greisen Kardinals Michael von Faulhaber mehr und mehr positive Züge. Diese steigerten sich nach seinem Tod 1952 bis zur Stilisierung als Monument kirchlicher Selbstbehauptung unter der Diktatur. Unumstritten war die Person des Münchner Erzbischofs gleichwohl auch damals schon nicht. Dies zeigte sich insbesondere bei der Frage der Verleihung der Ehrenbürgerschaft der bayerischen Landeshauptstadt.

Ehrenbürgerschaft der Landeshauptstadt München

Kardinal Michael von Faulhaber
Erzbischof Michael Kardinal von Faulhaber
Der 80. Geburtstag Kardinal Faulhabers war für den Münchner Bürgermeister Dr. Karl Scharnagl (CSU), Bruder des Münchner Weihbischofs Anton Scharnagl, Anlass, am 8. Januar 1949 im Stadtrat die Verleihung der Ehrenbürgerwürde an den Kardinal zu beantragen. Oberbürgermeister Thomas Wimmer (SPD) hob in seinem Vortrag die Haltung Faulhabers in der Zeit des Dritten Reichs hervor. Der Kardinal habe den Nationalsozialismus „als geistige und politische Irrlehre schärfstens bekämpft und abgelehnt“. Faulhaber sei für die Menschenrechte und gegen die NS-Rassenlehre eingetreten. Außerdem betonte Wimmer das caritative Wirken des Münchner Kardinals, insbesondere für die Bevölkerung der Landeshauptstadt.

Dieser Einschätzung der Stadtspitze schlossen sich jedoch Stadträte der SPD, KPD und FDP nicht an. Scharnagl stützte seinen Antrag, der in der Sitzung vom 15. Februar 1949 nochmals auf der Tagesordnung stand, vor allem auf die caritativen Tätigkeiten Faulhabers. Zwei Aspekte hob er dabei insbesondere hervor:

  1. die Reisen des Kardinals in die USA in den 1920er Jahren, bei denen er für finanzielle Unterstützung Deutschlands und Bayerns geworben hatte,
  2. sowie das Wirken nach dem Zweiten Weltkrieg.
Darüber hinaus wird Faulhabers praktische Hilfe für ca. 3.000 Juden erwähnt. Ihnen habe er die Ausfertigung von Pässen vermittelt. Dadurch sei 1.500 bis 1.700 Juden die Ausreise und damit die Rettung vor der Verfolgung durch das NS-Regime ermöglicht worden. Vor der Abstimmung im Stadtrat verließen die Stadträte der SPD, KPD und FDP den Sitzungssaal. Oberbürgermeister Wimmer ließ dessen ungeachtet abstimmen. Die 26 verbliebenen Stadträte (von CSU und Bayernpartei) sowie der Oberbürgermeister votierten einstimmig für den Antrag Scharnagls.
Kardinal Faulhaber nahm die Ehrung an. Sie fand am 4. März 1949 im Erzbischöflichen Palais statt. Wimmer überreichte dem Kardinal die Urkunde. Darin hieß es, der Stadtrat der Landeshauptstadt verleihe Faulhaber das Ehrenbürgerrecht:

„In dankbarer Würdigung seiner unschätzbaren Verdienste um die Linderung der Not durch die Erweckung werktätiger Liebe und weltweiter Hilfe in schwerer Zeit, seines rastlosen Kampfes gegen den Ungeist und die Untaten einer verbrecherischen Gewaltherrschaft, seines unerschrockenen Eintretens für Freiheit und Würde des Menschen wie gegen Religionsfeindlichkeit und Rassenwahn und des hohen Ansehens seiner verehrungswürdigen Persönlichkeit über alle Länder der Welt“.

Umstrittene Straßenumbenennung: Kardinal-Faulhaber-Straße

Ehrenbürger-Urkunde für Kardinal Michael von Faulhaber
Ehrenbürgerurkunde vom 5. März 1949
Nach Faulhabers Tod änderte sich auch bei den drei Jahre zuvor noch kritisch eingestellten Parteien im Stadtrat die Einschätzung des Kardinals. Noch im Jahr 1952 ehrte die Stadt den Verstorbenen mit der Umbenennung der bisherigen Promenadestraße, an der das Erzbischöfliche Palais liegt, in Kardinal-Faulhaber-Straße. Diese Ehrung fand die geschlossene Zustimmung des Stadtrats.

Erst um das Jahr 2000 meldeten sich vermehrt Stimmen im Stadtrat, die die Benennung einer Straße nach Kardinal Faulhaber in Frage stellten. Dazu hatten Publikationen beigetragen, die Faulhaber vor allem seine kritische Einstellung gegenüber der Weimarer Demokratie sowie seine Zurückhaltung mit öffentlichen Äußerungen zur Judenverfolgung vorwarfen. Zudem apostrophierten sie ihn als „des Kaisers und des Führers Schutzpatron“. Hingegen beruhigte zwischenzeitlich die Öffnung der Faulhaber-Akten durch das Erzbistum München und Freising die Diskussion.

In den letzten Jahren intensivierte sich die öffentliche Debatte um eine Umbenennung der Kardinal-Faulhaber-Straße wieder: Im Januar 2020 berichtete die Münchner Presse, dass die Stadt schon 2016 das Stadtarchiv mit der Überprüfung aller Münchner Straßennamen beauftragt hatte. Ende 2019 wurde dem Ältestenrat eine Liste vorgelegt, die 320 Straßennamen mit Kommentierungs- und Kontextualisierungsbedarf und daraus 40 mit erhöhtem Diskussionsbedarf aufführt. Zu diesen zählt auch die Kardinal-Faulhaber-Straße. Seitdem steht die Frage einer Umbenennung wieder auf der Tagesordnung.

Dabei positionierten sich als Befürworter einer Umbenennung bislang insbesondere die Stadtratsfraktion der „Linken“ und der „Bund für Geistesfreiheit München“. Als alternative Namensgeberinnen schlugen sie die Pazifistin Sahra Sonja Lerch (1882-1918) und die Widerstandskämpferin Sylvia Klar (1885-1942) vor. Im Februar 2020 brachten Unbekannte an einem Straßenschild der Kardinal-Faulhaber-Straße ein kritisches Zusatzschild an, das jedoch schnell wieder entfernt war.

Die Öffnung der Faulhaber-Akten für die Forschung

1998 begann im Erzbischöfliche Archiv München eine intensive archivische Bearbeitung des umfangreichen, rund 3.000 Akten umfassenden Nachlasses von Kardinal Faulhaber. Am 50. Todestag Faulhabers, dem 12. Juni 2002, öffnete Erzbischof Friedrich Kardinal Wetter den gesamten Bestand für die wissenschaftliche Forschung. Er äußerte dabei die Hoffnung, dass auf dieser Grundlage nun mit wissenschaftlichen Methoden ein differenziertes Bild vom Leben und Wirken seines Vorgängers erarbeitet werden könne.

Parallel dazu wurde im Bayerischen Hauptstaatsarchiv eine große, von staatlichen, kommunalen und kirchlichen Archivaren gemeinsam erarbeitete Ausstellung „Kardinal Michael von Faulhaber. 1869 bis 1952“ gezeigt, in der erstmals Dokumente aus Faulhabers gesamter Lebenszeit und aus allen Bereichen seines Wirkens zu sehen waren. Das vom Grafiker August Günther gestaltete Ausstellungsplakat, das ein historisches Foto von einem Besuch in Dachau durch einen weißen Keil spaltet, wollte Faulhaber als eine Person im Widerspruch erscheinen lassen. Bewusst wurde offengelassen, ob sich das Bild Faulhabers durch die nun mögliche Quellenforschung zusammenfügen wird.

Online-Edition der Tagebücher des Kardinals

Plakat der Faulhaber-Ausstellung 2002
Plakat der Faulhaber-Ausstellung 2002
Eine weitere Verbreiterung der Quellenbasis ergab sich dadurch, dass die bislang der Öffentlichkeit nicht zugänglichen, von seinem letzten Sekretär verwahrten Tagebücher Faulhabers nach dessen Tod 2010 in das Erzbischöfliche Archiv München überführt wurden. Die Tagebücher, die Faulhaber von 1911 bis zu seinem Tod führte, dokumentieren rund 52.000 Besuche und Gespräche. Sie ermöglichen einen Einblick in große politische Zusammenhänge sowie in die Gedankenwelt Faulhabers. Da die Einträge zum größten Teil in der Gabelsberger-Kurzschrift, die heutzutage nur noch wenige Experten entziffern können, niedergeschrieben sind, ergriff das Archiv die Initiative zu einem wissenschaftlichen Projekt mit dem Ziel, die Tagebücher in einer historisch-kritischen Online-Edition zugänglich zu machen.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft bewilligte 2014 ein auf zwölf Jahre angelegtes Editionsprojekt, das der Historiker Prof. Dr. Andreas Wirsching vom Institut für Zeitgeschichte München-Berlin und der Kirchenhistoriker Prof. Dr. Hubert Wolf von der Universität Münster gemeinsam verantworten; das Erzbischöfliche Archiv ist Kooperationspartner. Seit Herbst 2015 werden in regelmäßigen Abständen die jeweils fertiggestellten Tagebuch-Jahrgänge auf der mit verschiedenen Darstellungs- und Suchfunktionalitäten ausgestatteten Projekt-Homepage online gestellt.

Der Besuch auf dem Obersalzberg als Beispiel

Die fortschreitende Edition der Faulhaber-Tagebücher (einschließlich ihrer Beiblätter mit ausführlicheren Notizen zu besonders wichtigen Ereignissen) bietet in der Zusammenschau der Akten und Tagebücher wesentliche neue Erkenntnismöglichkeiten. Dies hat jüngst der Projekt-Mitarbeiter Philipp Gahn exemplarisch an dem berühmten Gespräch zwischen Adolf Hitler und Kardinal Faulhaber auf dem Obersalzberg am 4. November 1936 aufgezeigt.

Seit langem bekannt und seit 1978 (von Ludwig Volk in der Reihe „Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte“) ediert ist die offizielle Gesprächsniederschrift, die Faulhaber an Papst Pius XI., Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli und einige wenige Bischöfe sandte . Die neu zugänglichen stenographischen Gesprächsnotizen müssen sehr zeitnah verfasst worden sein, denn, so Gahn, „die Unmittelbarkeit des Eindrucks ist überall spürbar“. Sie erfassen vollständig die Redebeiträge Hitlers und Faulhabers und vermitteln auch einen Eindruck der äußeren Umstände des Treffens, bei dem es von Seiten Hitlers einige Male sehr laut herging. Dagegen sind in der späteren Niederschrift Auslassungen und Glättungen festzustellen. Dadurch sollte Hitler wohl als seriöser Verhandlungspartner dargestellt werden.
Auch auf dieser verbreiterten Quellenbasis bleibt aus heutiger Sicht die Ambivalenz bestehen: Einerseits war für Faulhaber Hitler als Oberhaupt des Deutschen Reiches auch für die Kirche gottgesetzte Autorität und rechtmäßige Obrigkeit. Dieser schulde man im Gewissen Ehrfurcht und Gehorsam. Andererseits wies Faulhaber, indem er Verstöße des Staates gegen Dogma oder Sittengesetz als Verstöße gegen das Gewissen bezeichnete, Hitler aber auch darauf hin, dass das Gewissen gegenüber der Gehorsamspflicht eine Grenze ziehe. Damit zeigte er Hitler letztlich die Grenzen staatlichen Handelns auf und reklamierte für den gläubigen Christen ein Recht auf Gehorsamsverweigerung.

Inwieweit die bessere Zugänglichkeit von Quellen und gerade die Möglichkeit der kombinierten Nutzung von Akten und Tagebucheinträgen bei weiteren Einzelfragen und in der Gesamtbewertung der Gestalt Faulhabers zu einer konsensfähigen Deutung führen wird, bleibt abzuwarten.
Text: Dr. Roland Götz und Guido Treffler, Archiv und Bibliothek des Erzbistums München und Freising
 

Literatur:

  • Kardinal Michael von Faulhaber 1869-1952. Eine Ausstellung des Archivs des Erzbistums München und Freising, des Bayerischen Hauptstaatsarchivs und des Stadtarchivs München zum 50. Todestag (= Ausstellungskataloge der Staatlichen Archive Bayerns 44), München 2002
  • Peter Pfister (Hg.), Michael Kardinal von Faulhaber (1869-1952). Beiträge zum 50. Todestag und zur Öffnung des Kardinal-Faulhaber-Archivs. Predigt und Vorträge, Ansprachen und Berichte (= Schriften des Archivs des Erzbistums München und Freising 5), Regensburg 2002
  • Walter Ziegler, Michael von Faulhaber (1869-1952). Bericht und Überlegungen zur Geschichtsschreibung seit 2002, in: Beiträge zur altbayerischen Kirchengeschichte 57 (2017) 309-404
 

Web-Links zu Kardinal Michael von Faulhaber: