Archive auf dem Freisinger Domberg
In Freising bestand ein Archiv des Fürstbischofs, dessen ältere Teile etwa seit dem 17. Jahrhundert in drei gewölbten Räumen des südlichen Domturms verwahrt wurden. Die jüngeren Akten lagen in der Kabinettsregistratur zu Händen des Bischofs. Die bischöflichen Behörden (Geistlicher Rat für die geistlichen Angelegenheiten, Hofrat für die weltlich-politischen Angelegenheiten, Hofkammer für das Finanz- und Wirtschaftswesen) führten jeweils eigene Registraturen, die in der Residenz lagerten. Davon ist für das AEM besonders wichtig die Registratur des 1585 gegründeten Geistlichen Rates, der den Vorläufer des heutigen Ordinariats bildet. Das Domkapitel, das an der geistlichen und weltlichen Regierung mitwirkte, hatte sein eigenes Archiv in einem 1732-1734 erbauten, samt seiner historischen Einrichtung bis heute erhaltenen Saal über dem Domkreuzgang.
Bei der Säkularisation 1802/1803 beschlagnahmte das Kurfürstentum Bayern als Rechtsnachfolger die Archive des Fürstbischofs und des Domkapitels sowie die Registraturen der weltlichen Regierung. Dokumente von ausschließlich historischem Wert wurden aussortiert und in das kurfürstliche Geheime Landesarchiv (Vorgänger des Bayerischen Hauptstaatsarchivs) bzw. das Reichsarchiv-Conservatorium (heute Staatsarchiv München) gegeben. Unterlagen, die für Verwaltung und Rechtsprechung noch benötigt wurden, gelangten sofort nach der Säkularisation an die nunmehr zuständigen bayerischen Behörden. Durch Aktenabgaben dieser Behörden kamen sie ebenfalls in das Staatsarchiv München. Innerhalb der staatlichen Archive wurden die Archivbestände inzwischen nach ihrer ursprünglichen Herkunft (Provenienz) neu geordnet. Die ehemaligen Freisinger Archivalien sind deshalb heute im Hauptstaatsarchiv wieder vereinigt.
Von der Säkularisation unberührt blieben dagegen die Akten der Freisinger Bistumsverwaltung, die als Bischöfliches Generalvikariat weiter amtierte. Bei der Verlegung des Bischofssitzes nach München 1821 wurden diese Unterlagen mitgenommen. Sie bildeten dort den Grundstock für das heutige AEM. Hinzu kamen in größerem Umfang Unterlagen salzburgischer Provenienz. Schon bald nach der Säkularisation war der bayerische Staat bestrebt, die Diözesangrenzen den Staatsgrenzen anzupassen. Die nunmehr im Königreich Bayern gelegenen Teile des Erzbistums Salzburg wurden größtenteils dem Bistum Freising bzw. ab 1817/21 dem Erzbistum München und Freising zugeschlagen. Infolgedessen gelangte auch die Überlieferung der ehemals salzburgischen Archidiakonate Chiemsee, Gars und Baumburg nach Freising. Das Salzburger Konsistorium gab zudem Personalakten sowie Schriftgut, das die abgetretenen Pfarreien betraf, ab.
Das neue Erzbistum München und Freising
Mit der Verlegung des Bischofssitzes 1821 wurden auch größere Teile der Registratur nach München verbracht. Aufgrund von Platzmangel musste aber ein Teil des Schriftguts in Freising bleiben. Erst mit dem Bezug des ehemaligen Karmeliterklosters durch das Ordinariat 1844 gelang eine Zusammenführung aller Registraturteile. Gemäß Anweisung von Generalvikar Martin von Deutinger wurde nun auch das immer noch getrennt verwahrte Schriftgut aus den alt- und den neudiözesanen Gebieten in einer neuen Ordnung nach Sachbetreff (Pertinenz) vereinigt, die sich aus den drei Hauptgruppen „Lokalia“, „Personalia“ und „Realia“ zusammensetzte.
Auf Deutinger gehen auch die Anfänge des Diözesanarchivs zurück. 1848 erstellte er ein Verzeichnis über sämtliche Urkunden, die sich noch im Besitz des Erzbistums befanden. 1866 wurde aus dieser Sammlung und älteren Aktenbestände, die aus der laufenden Registratur abgegeben wurden, ein Archiv des Ordinariats „neu hergestellt“. Bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts lag die Zuständigkeit für das Archiv mit in den Händen des Bibliothekars. Eine Aufwertung erfuhr das Archiv durch den CIC 1917, der alle Diözesen zum Unterhalt eines Archivs verpflichtete. Die ständig steigenden fachlichen Anforderungen an die archivarische Arbeit sowie die stetig anwachsenden Benutzerzahlen, die spätestens seit den 1950er Jahren die Benutzerfrequenz in der Bibliothek deutlich übertrafen und die Kräfte zunehmend im Archiv banden, führten zu einer Umkehrung des Verhältnisses.
Zeichen für den Bedeutungsgewinns des Archivs ist die Übernahme der mehrere hundert Bände umfassenden „Heckenstaller-Sammlung“ aus der Bibliothek. Deren Kern bildeten Akten und Schriftstücke, die von den staatlichen Stellen bei der Säkularisation in Freising zurückgelassen und von Joseph Jakob von Heckenstaller und Martin von Deutinger gerettet und durch gezielte Sammlungstätigkeit ergänzt worden waren. Dieses Schriftgut war von Deutinger unter dem Namen „Heckenstaller-Sammlung“ zusammengefasst, thematisch geordnet und gebunden worden.
Erster wissenschaftlich ausgebildeter Archivar war Heinrich Held (1926-1939). In seiner Amtszeit begann die systematische Erschließung der Heckenstaller-Sammlung und anderer zentraler Bestände. Auch wurde erstmals eine Tektonik geschaffen. Die einzelnen Bestände wurden dabei nach Archivalientypen in Urkunden, Amtsbücher und Akten unterteilt. Helds Arbeit wurde nach dem Zweiten Weltkrieg durch Peter von Bomhard (1960-1979) fortgesetzt.
Zweiter Weltkrieg und Nachkriegszeit
Im Zweiten Weltkrieg wurden die älteren Bestände des Archivs weitgehend, die jüngeren zu einem größeren Teil ausgelagert. Alles, was im Ordinariatsgebäude an der Pfandhausstraße zurückgeblieben war, verbrannte beim Bombenangriff am 25. April 1944 restlos. Auch die Registratur des Ordinariats ging (anders als die der Erzbischöflichen Finanzkammer) fast vollständig verloren.
Nach 1945 wurden die Bestände in das vorläufige Ordinariatsgebäude, das Montgelas-Palais am Promenadeplatz, zurückgeführt. An den Bergungsorten waren jedoch durch Feuchtigkeit Verluste eingetreten, die heute nicht mehr benennbar sind.
Entstehung des heutigen Archivs
1958 wurde der Chor- und Sakristeiteil der im Krieg schwer beschädigten ehemaligen Karmeliterkirche für das Archiv eingerichtet. 1976/77 konnte noch der größere Teil der früheren Kirchengruft als Magazin hinzugewonnen und in der ehemaligen Sakristei ein Benutzerraum geschaffen werden. Das Magazin in der früheren Kirchengruft wurde zuletzt 1999-2002 hinsichtlich Brandschutz und Klimatechnik modernisiert. Der Lesesaal wurde zuletzt 2013 renoviert und für die digitale Präsentation von Archivgut eingerichtet.
1984 wurde wegen Raummangels in München am Domplatz zu Freising ein Archivdepot eingerichtet, das vor allem weniger benutzte Bestände und deponierte Pfarrarchive aufnahm. Die dort deponierte Bestände mussten (ebenso wie der Gesamtbestand der Dombibliothek Freising) im Frühjahr 2015 wegen einer bevorstehenden Renovierung und Neunutzung des Gebäudes in ein Ausweichdepot in Neufahrn bei Freising verlagert werden. Eine künftige Zusammenführung von Archiv und Diözesanbibliothek an einem gemeinsamen Standort ist geplant.
2018/19 nahm das Digitale Archiv seinen Betrieb auf. Es umfasst die Digitalisierung der archivischen Geschäftsprozesse, die Übernahme und Archivierung digitaler Unterlagen sowie (seit 15. Juli 2019) die Online-Stellung von Findbüchern und digitalisierten Unterlagen.
Das Archiv des Erzbistums bildet heute (seit 1. August 2019) zusammen mit der Diözesanbibliothek die wissenschaftliche Einrichtung „Archiv und Bibliothek des Erzbistums München und Freising“ und erfüllt auch Aufgaben der bisherigen (Alt-)Registratur. Sie ist dem Geschäftsbereich des Kanzlers der Kurie (Kanzlei) und dadurch (seit dem 1. Januar 2020) der Amtschefin des Erzbischöflichen Ordinariats (zuvor: dem Generalvikar) zugeordnet.
Aufgaben des Archivs sind die Bewertung und Übernahme und von analogem und digitalem Schrift- und Dokumentationsgut, die Erschließung und dauerhafte Erhaltung des Archivguts sowie dessen Bereitstellung zur Nutzung. Darüber hinaus zählt zu seinen Aufgaben die Archivpflege, d.h. die Beratung und Betreuung kirchlicher Einrichtungen (v.a. Pfarreien, Orden, Vereine, Verbände) in archivischen Fragen.
Das Erzbischöfliche Archiv München
Neben dem Archiv des Erzbistums besteht als eigenes Archiv das Erzbischöfliche Archiv München. Es umfasst die Amtsakten und persönlichen Nachlässe der Münchner Erzbischöfe seit 1821. Im Zweiten Weltkrieg blieb es von Verlusten verschont und stellt deshalb eine wertvolle Ersatzüberlieferung für die verbrannte Registratur des Ordinariats dar. Bedeutsam sind insbesondere die Unterlagen der Erzbischöfe Michael Kardinal von Faulhaber (1917-1952), Joseph Kardinal Wendel (1952-1960), Julius Kardinal Döpfner (1961-1976), Joseph Kardinal Ratzinger (1977-1982) und Friedrich Kardinal Wetter (1982-2008). In fachlicher Abstimmung mit dem Archiv des Erzbistums sorgt das Erzbischöfliche Archiv für die Erschließung, Erhaltung und Nutzung seiner Bestände. Ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt bei der kirchlichen Zeitgeschichte.
Literatur zur Archivgeschichte