Vortrag von Dr. Silvia Wimmer am 22. Oktober 2008, anlässlich der Präsentation der Denkwerk-Broschüre: „Die letzten und die ersten Tage. Amerikaner und Bayern begegnen sich.“
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Schülerinnen und Schüler,
im Zentrum unseres Projekts standen Begegnungen, Begegnungen zwischen Einheimischen und US-Besatzern in den letzten Kriegs- und ersten Nachkriegstagen des Jahres 1945. Erlauben Sie, dass ich mit einer meiner Lieblingsstellen aus den Kriegs- und Einmarschberichten der Pfarrer des Erzbistums München-Freising beginne, die eine wichtige Basis für unsere historische Spurensuche waren:
Pfarrer Anton Attenhauser aus Edling in der Nähe von Wasserburg berichtet über den Einmarsch der US-Soldaten in seinem Dorf:
„Am 2. Mai mittags 12 Uhr kam Herr N.N. aus Edling, den der Pfarrer – Anton Attenhauser spricht von sich in der dritten Person - zur Beobachtung aufgestellt hatte, in den Pfarrhof und rief: „ Die Fahnen heraus auf den Kirchturm, denn die Amerikaner kommen schon über Staudham herein“. Sofort stieg der Pfarrer wieder auf den Turm, um den bestellten Leuten zu zeigen, wie sie die weiße Fahne hissen sollten. Die weiße Fahne aber wurde nicht gehisst, weil jemand vom Dorfplatz, wo sich die Bewohner Edlings und auch Militär eingefunden hatten, hinauf rief: „Die Fahne hinweg oder wir schießen!“ So kam es, daß auf dem Kirchturm Edling überhaupt keine weiße Fahne gehisst wurde. Der Pfarrer war wieder herabgestiegen, als er gesehen hatte, wie sich die amerikanischen Panzer auf fünf Straßen dem Dorfe nähern: … Um halb 1 Uhr Mittag kamen nun die ersten Panzer am Pfarrhof an und blieben stehen. Der Pfarrer winkte noch mit einem großen weißen Tuch, da rief ein Amerikaner vom ersten Wagen heraus: „Glankt scho!“
Inhaltliche ErgebnisseAusgehend von diesem Zitat lassen sich mehrere Schlussfolgerungen ziehen, die von allgemeiner Gültigkeit für unsere Thematik sind:
- Die Begegnung zwischen Einheimischen und US-Besatzern lief oftmals ganz anders ab, als zu erwarten war. Dass in dem Panzer ein bayerisch sprechender Angehöriger der US-Armee saß, der lässig auf weitere Friedensbekundungen verzichtete, war aus Sicht der Einheimischen nicht vorhersehbar.
- Bei den US-Soldaten handelte es sich um keine homogene Gruppe. Diese war vielmehr allein in punkto Abstammung und sozialer Herkunft – zu ergänzen wäre das Kriterium Bildung – äußerst vielschichtig.
- Die einheimische Bevölkerung reagierte sehr unterschiedlich auf den Einmarsch. Waren etliche Bürger bemüht, durch Hissen der weißen Flagge symbolisch den Weg für eine friedliche Übergabe zu bereiten, leisteten andere den Anordnungen der SS, die das Hissen weißer Fahnen strengstens verboten hatte, auch in letzter Minute noch treuen Gehorsam.
- Der Pfarrer tritt hier als Organisator einer friedlichen Übergabe des Ortes auf. Auch dies findet sich in vielen Kriegs- und Einmarschberichten bestätigt. Im Landkreis Ebersberg etwa in Neufarn bei Anzing, wo Pfarrer Ludwig Klöck den ca. 1000 anrollenden Panzern entgegen ging, auch vier wertvolle Bettücher opferte, um daraus weiße Fahnen zu fertigen, die er am örtlichen Kirchturm aufhängen ließ.
Die Begegnung zwischen Einheimischen und Besatzern konnte aber auch ganz anders verlaufen, als eben geschildert. So berichtet ein Bewohner aus Glonn, der 1945 gerade 10 Jahr alt war, dass er auf dem Nachhauseweg von der Schule an einer einsamen Stelle auf einen US-Soldaten traf. Das Gewehr im Anschlag, forderte dieser den Jungen durch eine Geste auf umzukehren. Obwohl der Junge sofort gehorchte, schoss der Soldat mehrmals, verfehlte das fliehende Kind allerdings. Zickzack laufend gelang es dem Jungen, ins nächste Dorf zu fliehen. Bis heute versteht der Betroffene nicht, warum der US-Soldat auf ihn geschossen hat.
Zusammengenommen sind die beiden Beispiele Extreme auf ihre Art. Sie demonstrieren, wie groß die Bandbreite an Formen des Umgangs von seiten der US-Soldaten mit der deutschen Bevölkerung sein konnte. Will man zu einer Gewichtung kommen, stellt man für den Landkreis Ebersberg fest: die meisten Begegnungen vollzogen sich friedlich. Zurückzuführen ist dies nicht zuletzt auf ein aktives Bemühen etlicher Einheimischer. Häufig in Eigeninitiative zogen Einzelne, bewaffnet nur mit einer weißen Flagge, den herandonnernden amerikanischen Panzerkolonnen entgegen. Manchmal wurden sie von Mitbürgern regelrecht in diese Rolle gedrängt, vor allem wenn sie zu den wenigen im Ort gehörten, die Englisch sprachen: so in Forstinning der Psychologe Josef Fürst oder in Markt Schwaben ein Sägearbeiter, der einige Jahre in New York gearbeitet hatte. Begleiterscheinungen des Einmarsches waren Plünderungen – oft beschönigend als Suche nach „Souvenirs“ umschrieben – und auch einzelne Vergewaltigungen durch amerikanische Soldaten. Ein recht hartes Urteil über das Verhalten der weiblichen Bevölkerung fällt in diesem Zusammenhang Pfarrer Anton Kreutmeier aus Moosach, wenn er an die vorgesetzte Behörde berichtet: „Man hörte von Vergewaltigungen, an denen aber die Opfer teilweise nicht ganz unschuldig waren. Ein Ami soll sich sogar später förmlich bei einem Mädchen entschuldigt haben. Er sei eben berauscht gewesen und noch nie habe er das getan.“
Nach dem gefahrvollen ersten Zusammentreffen von US-Soldaten mit der einheimischen Bevölkerung entstanden neue Konflikte, als sich Angehörige der US-Streitkräfte zum Zweck des Aufbaus einer neuen Verwaltung dauerhaft im Landkreis einquartierten. Etliche Bürger mussten ihre Häuser räumen. Häufig gingen US-Soldaten achtlos, unsachgemäß mit den Einrichtungsgegenständen um, etwa wenn durch falsche Nutzung eines Ofens alle Wände und Decken eingeschwärzt wurden. Auch der sehr umfangreiche Maßnahmenkatalog, mit dem die örtliche US-Militärbehörde das öffentliche Leben neu organisierte, barg Konfliktpotential: die Einheimischen durften z.B. anfangs einen Umkreis von 6 Km nicht verlassen, es galten eine Telefon- und Postsperre, zudem von 19 Uhr bis 6 Uhr morgens eine strikte Ausgangssperre. Sich zu widersetzen war lebensgefährlich.