Schule und Archiv
Die letzten und die ersten Tage.
Amerikaner und Bayern begegnen sich.
Fremdsicht und Eigenwahrnehmung am Ende des
Zweiten Weltkriegs am Beispiel des Landkreises EbersbergEin Projekt in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv (BayHStA) und dem Archiv des Erzbistums München und Freising (AEM)
Durchgeführt mit Schülerinnen und Schülern der 9. Jahrgangsstufe des Gymnasiums und der Realschule
Bearbeitung: StRin Dr. Silvia Wimmer, Humboldt-Gymnasium Vaterstetten
Eingereicht am 20. Oktober 2008
Weitere allgemeine Informationen zu Schule und Archiv und bereits durchgeführten Projekten auf der Homepage des Historischen Forums:
http://www.schule.bayern.de/forum/archiv/archiv1.htmlÜbersicht1. Vorüberlegungen1.1 Lehrplanbezug
1.2 Kurzbeschreibung des Projekts
1.3 Zielsetzung
1.4 Quellengrundlage
2. Die Durchführung des Projekts2.1 Methodisch-didaktische Konzeption
2.2 Projektskizze
2.3 Variationsmöglichkeiten
2.4 Erfahrungen
2.5 Benötigte Hilfsmittel
2.6 Materialien
2.7 Archivsignaturen (in Auswahl)
1. Vorüberlegungen1.1 LehrplanbezugGymnasium
G 9.1 Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg
- Kriegswende und „totaler Krieg“, Kriegsende in Europa und Asien
G 9.2 Blockbildung, deutsche Teilung und Ost-West-Konflikt bis in die
1960er Jahre
- Situation in Deutschland in Folge von Kriegsniederlage und bedingungsloser
Kapitulation; Flucht und Vertreibung - Besatzungsherrschaft und staatlicher Neubeginn am Beispiel Bayerns
G 9.4 Exemplarische Vertiefungen zu einzelnen Aspekten
- Erlebnis Geschichte: Ausstellung mit lokalgeschichtlichem Bezug, z.B. „Leben
in der Diktatur“, „Antisemitismus in unserem Ort“, „Widerstand in unserem Ort“,
„Umgang mit Erinnerungen an den Nationalsozialismus“
Realschule
G 9.5 Totalitäre Herrschaft, Zweiter Weltkrieg und die Folgen
- Der Zweite Weltkrieg
- Die Bilanz von Diktatur und Krieg
1.2 Kurzbeschreibung des ProjektsDie historische Grundlage für dieses Projekt bilden Quellenbestände, die wissenschaftlich bislang noch relativ wenig ausgewertet worden sind: Die im Archiv des Erzbistums München und Freising liegenden Kriegs- und Einmarschberichte der Pfarrer sowie die Akten der US-Militärregierung, die in verfilmter Form im Bayerischen Hauptstaatsarchiv verwahrt werden, hier jeweils für den Landkreis Ebersberg.
Beteiligt waren in dieser ersten Phase des Projektverlaufs drei 9. Klassen aus dem Humboldt-Gymnasium Vaterstetten und eine 9. Klasse der Staatlichen Realschule Vaterstetten, also annähernd 120 Schülerinnen und Schüler. Der Projektverlauf erstreckte sich von Februar bis Juli 2008. Das konkrete Projektziel bestand in der Erstellung eines Geschichtsbuches, das die Schüler selbst für andere Schüler schreiben und das damit als Unterrichtsmaterial dienen kann. Nach dem Studium einschlägiger Quellen und Sekundärliteratur verfassten sie zusammenhängende Darstellungstexte, suchten Materialien zur vertiefenden Analyse aus und formulierten dazu Aufgaben. Im nächsten Schuljahr wird das Projekt fortgesetzt, indem in Zu-sammenarbeit mit den Gymnasien in Bad Aibling und Traunstein sowie der Realschule in Wasserburg eine Wanderausstellung zum gleichen Thema erstellt wird.
Das vorgestellte Vorhaben wurde im Rahmen der von der Robert Bosch Stiftung geförderten Denkwerk-Projekte durchgeführt. Diese sollen zur Vernetzung zwischen Schülern, Lehrern und Wissenschaftlern beitragen. Schüler werden in enger Zusammenarbeit mit universitären Einrichtungen – hier primär mit dem Institut für Bayerische Geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität, vertreten durch Prof. Dr. Ferdinand Kramer - an aktuelle geistes- und sozialwissenschaftliche Forschungen herangeführt. Dies geschieht zugleich mit der Zielsetzung, Einblicke in mögliche Berufsfelder zu gewähren und den Übergang zwischen Schule und Universität fließender zu gestalten. (Nähere Informationen zu den Ausschreibungsmodalitäten sowie zu laufenden Projekten unter www.bosch-stiftung.de) Indem die Schüler der Fragestellung der gegenseitigen Wahrnehmung von Einheimischen und US-Besatzern nachgehen, betreten sie wissenschaftliches Neuland, werden selbst zu Forschern. Prinzipiell bietet dieses Projekt eine Vielzahl von Möglichkeiten für den Einsatz im Unterricht an (vgl. 2.3 Variationsmöglichkeiten). Die Beschäftigung mit der Thematik kann angefangen von einer einzelnen Schulstunde bis hin zu einem sich über ein halbes Schuljahr erstreckenden Vorhaben reichen, bezogen auf den großen räumlichen Rahmen des Erzbistums München und Freising.
1.3 ZielsetzungDas im Folgenden beschriebene Projekt ist auf mehrere Zielsetzungen hin angelegt:
- Inhaltlich
Es stellt die Begegnung zwischen der einheimischen Bevölkerung und den US-Soldaten am Ende des Zweiten Weltkriegs ins Zentrum. Neben der Erforschung der konkreten lokalgeschichtlichen Ereignisse soll die unmittelbare gegenseitige Wahrnehmung untersucht werden – eine Fragestellung, der sich die Geschichtswissenschaft erst in jüngster Zeit verstärkt angenommen hat. Werden in der unmittelbaren face-to-face-Situation Stereotype eher modifiziert oder bestätigt? Wie verändert sich die Wahrnehmung im Laufe des nicht immer einfachen Annäherungsprozesses zwischen „Besiegten“ und „Siegern“? - Pädagogisch
Zielsetzung ist damit auch, zur Wertorientierung der Schüler beizutragen: Sie sollen sich – angeregt durch die Auseinandersetzung mit der Wahrnehmung von Einheimischen und Fremden im historischen Kontext – die Bedeutung dieser Frage in einer globalisierten Welt bewusst machen und angeregt werden, ihre eigene Position gegenüber Fremden zu reflektieren. - Methodisch
Multiperspektivität im Geschichtsunterricht
Ausgehend von zwei seriellen Quellenbeständen, die unterschiedliche Sichtweisen auf die Ereignisse bieten, erkennen die Schüler, dass es Geschichte nicht „an sich“ gibt, sondern erst konstruiert werden muss. Ihnen wird ferner bewusst, dass auch zwei Perspektiven nicht ausreichen, um eine zuverlässige Darstellung zu ermöglichen, da die Pfarrer aufgrund ihrer Standortgebundenheit, ihrer sozial herausgehobenen Position und religiös wertenden Sicht, nicht stellvertretend für „die Einheimischen“ sprechen können und die Angehörigen der amerikanischen Streitkräfte keine homogene Gruppe darstellten.
Fächerübergreifender Ansatz
Die Akten der amerikanischen Militärbehörde liegen nur in englischer Originalsprache vor. Daraus ergibt sich bei der Auswertung der Quellenbestände von selbst eine Ver-knüpfung des Fachs Geschichte mit Englisch. Zudem sind die Schüler angehalten, über verschiedene Etappen des Projektes, etwa Exkursionen oder die Begegnung mit Zeitzeugen, journalistische Texte zu verfassen, so dass auf Fertigkeiten aus dem Fach Deutsch zurückgegriffen wird. Ferner findet eine Verbindung zum Informatikunterricht statt. Um klassenzimmer- und schulübergreifend arbeiten zu können, werden die Ergebnisse der Quellenanalyse in die E-Lernplattform „Moodle“ eingestellt und damit für alle Beteiligten verfügbar gemacht.
Methodenkompetenz
Das Projekt soll Schülern einen kritischen Umgang mit Darstellungen, zu denen auch das Schulbuch gehört, vermitteln. Indem Schüler selbst Schulbuchkapitel verfassen, wurde der Weg der Handlungsorientierung beschritten. Ein ähnliches Vorgehen schlägt Michael Sauer in seinem Werk „Geschichte unterrichten. Eine Einführung in die Didaktik und Methodik“ vor, wenn er empfiehlt, Schüler ein oder zwei Schulbuchdoppelseiten gestalten zu lassen. Zudem können sich Schüler auf diese Weise darin üben, Quellen auf ihre Aussagekraft hin zu bewerten und auszuwählen.
Projektorientiertes Vorgehen
Die Schüler erfahren auch, wie projektorientiertes Arbeiten zu organisieren ist und welche Schritte notwendig sind, um eine Publikation zu erstellen – eine wichtige Erfahrung, die sie auf die im Zuge der neuen Oberstufe geplanten P-Seminare vorbereitet.