Übersetzung Cusanus-Briefe

[Brief 151]
Hochwürdiger Vater in Christus, liebster Freund!
Ich habe Euren mir immer liebsten Brief erhalten und habe von der Visitation, welche Ihr durch den, den Ihr geschickt habt, veranlasst habt, mit Freude erfahren. Es ist wahr, ich hoffte gewiss, das Kloster zu sehen, als ich einmal nach Regensburg reiste; aber einige Widrigkeiten, die sich damals plötzlich ergaben, ließen nicht zu, dass ich vom Weg abwich. Wenn auch körperlich abwesend, bin ich doch im Geiste immer gegenwärtig. Denn nichts wäre mir willkommener, als in der Lage zu sein, in einer so großen und frommen Klostergemeinschaft die heilige Muße zu genießen, in welcher der Geist frei wird und schaut, wie lieblich der Herr ist. Aber so groß sind meine Sünden, dass ich nicht verdiene zu erscheinen. Denn es nehmen die Drangsale wegen des Wortes der Wahrheit täglich zu.
Euer Bote erbat die Abfassung von „De beryllo“ und die Lösung bestimmter Zweifel. Ich habe das Werk noch nicht vollendet, denn ich bin durch die Sorgen, die mit meinem Bischofsamt verbunden sind, abgehalten und mich nicht, wie es die Sache erfordert, ganz diesem Werk widmen. Ich will aber dennoch nicht aufhören, es, wenn mir Gelegenheit gegeben wird, zu vollenden, so gut ich kann. Ich schicke einige Büchlein und ganz mich selbst. Und ich bitte, erneut den heiligen Gebeten der Brüder empfohlen zu sein.
Aus Brixen, am Tag nach der Aufnahme [Marias in den Himmel] 1454.
Eurer Väterlichkeit Sohn Nikolaus, Kardinal von St. Peter [ad vincula], Bischof von Brixen, mit eigener Hand.
An den hochwürdigen Vater, Herrn Kaspar, Abt zu Tegernsee, [meinen] liebsten Freund.
 
[Brief 152]
Ewiges Heil, ehrwürdiger Vater, liebster Freund!
Noch ist das Buch „Visiones“ des Bonaventura nicht bereit. Es fehlen vielleicht noch zehn Blätter. Mit dem nächsten Boten werde ich es schicken; ich werde es in Florenz verbessern und ergänzen lassen. Schaut sorgfältig, dass ich den Eusebius [von Caesarea] recht bald zurückbekomme, weil ich das Buch brauche.
Während ich einmal das Kloster Admont besuchte, fand ich einige kleine Schriften des Aristoteles, „De consilio et legibus“ etc., die ich anderswo nicht gesehen habe. Damals schrieb ich um eine Kopie, doch ich bekam sie nicht. Sorgt Ihr dafür, wenn Ihr könnt!
Die Schrift „De beryllo“ habe ich noch nicht vollendet. Denn sie bedarf eines langen Kommentars, damit in den Worten anderer der praktische Gesichtspunkt sichtbar wird. O könnte ich doch bei Euch sein, befreit von der Hirtensorge! Dann könnte ich mit ihr weiterkommen.
Zufällig öffnete ich neulich das Buch des Dionysius [Areopagita] und las dort, was Ihr zum Lob von „De docta ignorantia“ unauffällig geschrieben habt. Ich danke Euch sehr und habe Euere Sorgfalt und Begabung bewundert. Das sind Geschenke Gottes.
Aus meinen Predigten habe ich vor ein Buch zu machen und sie zu verbessern, so schnell ich kann. Alles, was mir gehört, gehört Euch. Wenn ich wieder den Reichstag besuchen muss, der für das Fest des hl. Michael [29. September] in Frankfurt angesagt ist, werde ich es, wenn ich kann, so einrichten, dass ich meinen Weg zu Euch lenke. Das andere wird mir der Bote berichten können. Ich wünsche, durch die Gebete der Brüder von den Drangsalen der Welt befreit zu werden und die heilige Muße zu erlangen von Gott, der Euch glücklich leiten möge.
Aus Brixen in Eile, am Tag nach der Aufnahme [Marias in den Himmel] 1454.
Euer Nikolaus, Kardinal von St. Peter [ad vincula] etc., mit eigener Hand.
Dem ehrwürdigen und frommen Mann, Herrn Bernhard, Prior zu Tegernsee, [meinem] besonders geliebten Freund.
 
(Übersetzung: Raimund Senoner/Roland Götz)