Abschriften von ca. 450 Briefen aus dem Kloster Tegernsee; Papierhandschrift, Ende 15. Jh.
Nikolaus von Kues (1401–1464), nach seinem Herkunftsort Kues an der Mosel „Cusanus“ genannt, war als Gelehrter wie als Reformer eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der spätmittelalterlichen Kirche. Der Sprössling einer angesehenen Moselschiffer-Familie stieg nach dem Studium des Kirchenrechts und der Theologie auf der klerikalen Karriereleiter rasch auf. Zugleich erwarb er sich im Kreis der Humanisten einen Namen als Entdecker von Handschriften und verfasste tiefgründige philosophische und theologische Werke.
Sowohl den Trierer Erzbischöfen als auch dem Herzog von Bayern und dem Konzil von Basel diente er als Anwalt. Im Konflikt zwischen dem Konzil und Papst Eugen IV. stellte er sich 1437 auf die Seite des Papstes, reiste als Mitglied einer päpstlichen Gesandtschaft nach Konstantinopel und dann als päpstlicher Gesandter zu deutschen Fürsten. Lohn waren der Kardinalshut und die Ernennung zum Bischof von Brixen. Vor dem dortigen Amtsantritt brach er Anfang 1451 zu einer mehr als einjährigen Reise als päpstlicher Legat durch Deutschland auf, vor allem um die von vielen Seiten geforderte Reform der Kirche, von Klöstern und Klerus zu befördern.
Verbündete bei der Klosterreform im süddeutschen Raum fand er u.a. bei den Mönchen des Benediktinerklosters Tegernsee, das sich schon nach einer Visitation 1426 wieder einer strengen Befolgung der Regel und der Pflege der Wissenschaft zugewandt hatte. Im Frühjahr 1452 besuchte der Kardinal Tegernsee für drei Tage und blieb fortan in freundschaftlichem Briefkontakt mit Abt Kaspar Ayndorffer und dessen gelehrtem Prior Bernhard von Waging. Dabei ging es vor allem um die weitere Verbreitung der Klosterreform, um den Austausch von Handschriften und um Fragen der „mystischen Theologie“ (insbesondere zur Gotteserkenntnis), die zwar nicht alle Tegernseer Mönche, jedoch deren geistige Elite bewegten.
Am 16. August 1454 schrieb Nikolaus von Kues sowohl an Abt Kaspar als auch an den Prior. Dem Abt gegenüber bedauerte er, seine Reise nach Regensburg nicht mit einem Besuch in Tegernsee verbinden zu können. Die vom Tegernseer Boten erbetene Abhandlung „De beryllo“ (über die Prinzipien des Erkennens) habe er noch nicht schreiben können, da ihm aufgrund seiner bischöflichen Pflichten die notwendige Konzentration fehle. Er werde sie aber so bald wie möglich vollenden und sende den Mönchen stattdessen einstweilen andere Bücher. Den Prior lobte er für dessen Abhandlung zum Lob der Cusanus-Schrift „De docta ignorantia“ (von der belehrten Unwissenheit). Sobald er könne, werde er eine Sammlung seiner Predigten zusammenstellen und übersenden. Wenn er zum Reichstag nach Frankfurt gehen müsse, werde er versuchen, nach Tegernsee zu kommen.
Zu einem weiteren Besuch im Kloster kam es jedoch nicht. Dort suchte man
aber weiterhin, an Kopien möglichst aller neuen Cusanus-Werke zu kommen, und sicherte den Briefwechsel mit dem Kardinal für die Nachwelt, indem man ihn in eine Sammelhandschrift mit Abschriften zahlreicher Briefe der Epoche aufnahm.
Bayerische Staatsbibliothek, clm 19697, fol. 59r (Nr. 151 und 152) [Bild 123]