Übersetzung Arbeos "Vita Corbiniani“

[linke Spalte:]
[Die von Korbinian erweckte Quelle am Abhang des Weihenstephaner Berges lieferte so viel Wasser, dass es nicht nur für den Bedarf des dortigen Klosters ausreichte, sondern] noch bis zum Fuß des Berges hinabfloss. Solange der Gottesmann lebte, versiegte die Quelle nicht; als aber, nach seinem Tod, der Leichnam von uns weggebracht wurde, war die Erde dort 40 Jahre lang trocken und ohne Wasser. Als dann sein Leib wiederum zurückgebracht wurde, spendete auch die Quelle wieder so reichlich Wasser wie zuvor. Die Wahrheit unserer Behauptung wird durch die Quelle selbst, die jeder sehen kann, bezeugt. Aber kehren wir zum Gang unserer Geschichte zurück!
Eines Tages, als der Gottesmann in die Stadt gehen wollte, um in der Kirche der heiligen Maria, an der wir nach Gottes Willen Dienst tun, die Vesper zu feiern, kam ihm ein Bauernweib, das dem Gottesmann schon lange bekannt war, weil sie im Rufe der Zauberei stand, mit geschenktem Gut entgegen. Mit ihr gingen Männer, die Fleisch aufgepackt hatten und auch noch ein lebendes Stück Vieh führten. Als der Gottesmann die Hexe sah, wollte er genau von ihr wissen, woher sie komme. Da behauptete das boshafte Weib, ein Sohn des Herzogs, in der Blüte der Jugend stehend, sei durch geheimnisvolle Erscheinungen böser Geister heimgesucht worden, und sie habe ihm durch ihre verdammenswerten Zaubersprüche und betrügerischen Künste die Gesundheit wieder verschafft. Der Gottesmann erschrak zutiefst über ihre Rede. Dann packte ihn der Zorn. Er sprang vom Pferd und verprügelte das alte Weib mit eigener Hand; alle Geschenke aber, die ihr gemacht worden waren, ließ er am Tor der Stadt an die Armen verteilen. Er verzichtete darauf, die Stadt zu betreten; in sein Haus zurückgekehrt, beklagte er unablässig die Wortbrüchigkeit der Herzogin. Jenes Weib aber, die Verbündete des alten Feindes wie die Schlange im Paradiese, lief, sobald sie sich wieder erholt hatte, mit zerrauftem Haar zur Herzogin und zeigte sich ihr heulend mit blutverschmiertem Gesicht. Jene ergrimmte bei ihrem Anblick und wies mit wutverzerrten Zügen die Anwesenden auf die Spuren der Misshandlung hin. Sie suchte mit Gift den Bischof aus dem Weg zu räumen; ihrem Manne sagte sie noch nichts davon. Heimlich und auf eigene Faust bereitete sie einen tückischen Anschlag vor: indem sie einem Mann namens Nino insgeheim den Befehl gab, er solle, wenn der Hof die Stadt verließe, sich ein paar Knechte nehmen und den Bischof umbringen.

[rechte Spalte:]
Eines Tages brach der Hof auf, um an einen anderen Ort weiterzuziehen. Als der Zug abrückte, ließ einen durch seinen Bruder Ermbert, meinen Nährvater seligen Angedenkens, dem Gottesmann die Nachricht von dem drohenden Anschlag auf sein Leben hinterbringen, nämlich dass er gemäß dem tückischen Plan der Frau noch in derselben Nacht durch den erwähnten Hofbeamten getötet werden würde, wenn er sich nicht durch schleunigen Wechsel des Ortes in Sicherheit bringe. Ermbert also kehrte um, überbrachte dem Gottesmann seine Botschaft und machte ihm klar, in was für eine falle er geraten würde, wenn er sich nicht mit Bedacht schleunig entziehe. Der Bischof glaubte der Warnung, brach um Mitternacht, als alles still war, auf und ritt unbemerkt in eine andere Ortschaft. In der Dämmerung noch derselben Nacht geschah es: der genannte Ninus mit seinen Knechten umstellte das Haus des Gottesmannes. Sie durchstöberten jeden Winkel nach ihm, immer befürchtend, man möchte sie beim Mordanschlag auf den Bischof ertappen, und da sie ihn nirgends fanden, obwohl sie das unterste zu oberst kehrten, zogen sie unverrichteter Dinge ab.
Der Bischof aber verließ mitsamt seinen Geistlichen die Stadt und begab sich nach Mais. Der Herzogin ließ er durch einen seiner Leute bestellen, sie werde gar bald selber mit den Ihrigen in die Grube fallen, die sie dem Gottesmann bereitet habe, werde die Herrlichkeit der Herrschaft verlieren und in Armut ihr Leben beenden. Als der Herzog von dem Anschlag erfuhr, den seine Gemahlin gegen den Gottesmann ins Werk gesetzt hatte, versuchte er durch Abgesandte den Bischof zu bewegen, dass er zu ihm zurückkehren möge. Dieser aber ließ sich durch die Botschaft nicht beirren und erklärte, er müsse sich vor den Anschlägen einer Jezabel [vgl. 1 Kön 21] in acht nehmen. Mit diesem Bescheid kehrten die Boten zurück. In welcher Weise aber auf den Anschlag die Vergeltung folgte, darf ich, so will mich bedünken, aufzuzeichnen nicht unterlassen.
Das Lieblingskind des Herzogs, derselbe Knabe, den jenes Weib aufgrund teuflischen Trugwerkes mit ihren verruchten Zaubersprüchen behext hatte, schied aus dem Leben. Nach dem Tod des Kindes wurde Grimoald von Meuchelmördern getötet. Der Gewalttäter, der das Komplott zur Ermordung des Bischofs geschmiedet hatte, fand ein unrühmliches Ende: er war auf den Abtritt gegangen, um seine Notdurft zu verrichten, da wurde er von einer Lanze getroffen und starb. Die Gemahlin des Herzogs schließlich erfuhr Verrat, als sie Karl [Martell] nach Gallien folgte; sie verlor Macht, Ruhm und Ansehen, wurde ihres Besitzes [beraubt und besaß nur noch einen Eselskarren, mit dem sie nach Italien zog, wo sie starb.]

(Übersetzung: Franz Brunhölzl)