Der
Begriff der Menschenwürde, der heute in kirchlichen Verlautbarungen zu Flucht und Migration als zentrale normative Orientierung für das christliche Handeln angeführt wird, findet sich demgegenüber weder im Alten noch im Neuen Testament. Letztlich handelt es sich hier aber in einem christlichen Verständnis um nichts anderes als um eine moderne Übersetzung der Bild-Metapher.
Geprägt wurden Begriff und Verständnis der Menschenwürde in der europäischen Aufklärung, insbesondere von
Immanuel Kant. Es ist ein Ausdruck dafür, dass jedem Menschen eine Achtung, Bedeutung und Wertschätzung zukommt, die nicht wie der Wert einer Sache steigen oder sinken kann oder sich aus seinem Nutzen für jemanden oder etwas ergibt. Jeder Mensch besitzt diese Würde einfach aufgrund
seines Mensch-Seins – er kann sie nicht verlieren, sie kann ihm nicht genommen werden und alle Menschen, unabhängig von ihrer sozialen Situation, ihrem kulturellem oder religiösen Kontext sind in dieser Hinsicht gleich bedeutsam – ebenso wie bei der biblischen Rede von der Gottebenbildlichkeit. Und ebenso wie bei dieser ergibt sich daraus eine
Verpflichtung zur Solidarität mit allen Menschen. Eine Verpflichtung, die auch die Forderung von
Toleranz gegenüber anderen beinhaltet, die ihre Grenze allerdings in der Intoleranz haben muss – Toleranz gegenüber Intoleranz würde immer in Gefahr laufen, die zugrundeliegende Vorstellung von der würdemäßigen Gleichheit aller zu unterlaufen.
Pointiert wird daher auch in Art. 1 der
Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte die Menschenwürde definiert:
„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen.“Die dann folgenden
Menschenrechte bilden so etwas wie eine Konkretisierung der Menschenwürde, eine Klärung, welche Ansprüche den Menschen aus der Menschenwürde entstehen. Ein Zusammenhang, der auch im deutschen Grundgesetz deutlich wird (Art. 1):
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
Auch wenn das Bundesverfassungsgericht 1996 festgestellt hat, dass sich aus der Verletzlichkeit der
Menschenwürde kein Asylgrundrecht folgern lässt, sind wir als Christen und als Bürger Deutschlands dennoch doppelt aufgefordert, die Würde und die Menschenrechte von Flüchtlingen zu achten, sie in der öffentlichen und politischen Diskussion einzufordern, sie in den Gemeinden und Verbänden konkret werden zu lassen und darüber hinaus zu verdeutlichen, dass sich aus einer christlichen Perspektiven hier Anforderungen an Gesetzgeber und Zivilgesellschaft ergeben, die über das hinausgehen, was nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts grundgesetzlich geregelt ist.
Wenn Papst Franziskus die Kirche und die Christen immer wieder auffordert,
„an die Ränder“ zu gehen, dann ist damit genau das gemeint: Den Menschen als Abbild Gottes gerade im bedrängten und bedürftigen Anderen zu erkennen und den biblisch überlieferten Freiheitswillen Gottes im Hier und Jetzt wirksam werden zu lassen.