Die oberbayerische Andachtsstätte wurde im Barock auf einem 750 Meter hohen Hügel angelegt. Sie ist Zug um Zug über die Jahrhunderte um weitere Kapellen ergänzt worden, so dass nahezu alle Passionsbilder Christi dort anzutreffen sind. Dr. Hans Rohrmann, Fachreferent für kirchliche Kunstpflege im Erzbischöflichen Ordinariat München, und Mesner Johannes Janßen, der das ehemalige Benefiziatenhaus auf dem Kalvarienberg mit seiner Frau bewohnt und mit ihr zusammen den Ort pflegt, geben im Film Erläuterungen zum ältesten Kalvarienberg im Erzbistum.
Ein Kalvarienberg (lat. calvaria „Schädel“) – das ist eine Nachbildung der Stationen des Leidensweges und der Kreuzigungsstätte von Christus. Ausgrabungen zeigen, dass der ursprüngliche Ort außerhalb der Stadt Jerusalems lag, auf einem Begräbnisplatz auf dem Hügel Golgatha.
Dorthin pilgern - und dadurch das zugesagte Seelenheil erlangen - konnten noch im vorletzten Jahrhundert nur wenige Christen, zumal aus Europa. Die Wege waren nicht erschlossen, die Unternehmung kostspielig und gefährlich. Dennoch gab es Reisende und Geistliche, die die Todesstätte Jesu tatsächlich gesehen hatten und dieses Wissen in ihre Heimat mitbrachten. Es entstand der Wunsch, Nachbildungen dieses geheiligten Ortes zu schaffen, um im Gedenken an das Leiden Jesu auch zu Hause in angemessener Weise Buße tun und um Vergebung und Hilfe bitten zu können.
Blick auf den Kalvarienberg in Lenggries mit der monumentalen Kreuzigungsgruppe, der Heilig-Grab-Kapelle (dahinter), der Heilig-Kreuz-Kapelle (rechts) und den vierzehn Stationen des Kreuzweges (links), die den Platz umrunden
So entstanden ab Ende des 15. Jahrhunderts zunächst in Norditalien sogenannte „Sacri Monti“. Große Bedeutung erlangten diese Stätten nördlich der Alpen im Barock während der Gegenreformation. Die Idee, in Lenggries einen Kalvarienberg zu errichten, kam erstmals 1663 unter Hanns Wilhelm Herwarth (auch die Schreibung "Hörwarth") auf. Er ließ ein Kreuz auf dem Berg errichten und besorgte für die geplante Andachtsstätte eine noch heute erhaltene Kreuzpartikel-Reliquie aus dem Heiligen Land. Sein Sohn, Graf Ferdinand Joseph von Herwarth, der theologisch und philosophisch hochgebildete Hofmarksherr von Lenggries, baute den Kalvarienberg dann weiter zu einer prachtvollen Gartenanlage aus. Die Andachtsstätte wurde von Jahr zu Jahr erweitert. In Lenggries findet sich damit der älteste Kalvarienberg im Erzbistum München und Freising und er ist wohl einer der ältesten im gesamten deutschsprachigen Raum.
Graf Herwarth ließ am Fuß der Anhöhe die Bäume abholzen und ab 1694 eine weitläufige symmetrische Scherentreppe in den Felsen hauen, an deren Kehrung jeweils eine von insgesamt fünf offenen Stationskapellen steht. Auf dem Weg nach oben wird man zu der Heilig-Kreuz-Kapelle geleitet. Sie überdacht in ihrem Inneren im hinteren Teil des Schiffes 28 Stufen: Es ist die heilige Stiege, die nach dem Vorbild der Scala Sancta in Rom entworfenen wurde. Wer sie auf Knien hochbetete, durfte darauf hoffen, eine Minderung der Sündenstrafen zu erlangen. In dem vorderen Teil der Heilig-Kreuz-Kapelle, oberhalb der Stufen, befindet sich ein Andachtsraum mit Altar. In Hauptnische eingefügt ist der Gegeißelte Heiland, eine Darstellung des an Händen geketteten und an die Geißelsäule gebundenen, leidenden Christus. Dieser vordere Bereich der Heilig-Kreuz-Kapelle stammt von 1726, während die heilige Stiege zunächst noch im Freien angelegt war und erst etwas später überbaut wurde.
Darstellung des Geißelheilandes in der Heilig-Kreuz-Kapelle
Beim Verlassen der Heilig-Kreuz-Kapelle gelangt man zum höchsten Punkt des Hügels. Hier standen bereits 1665 drei monumentale Kreuze: Das von Jesus und die Kreuze der beiden Schächer, dazu die zwei Skulpturen der Vertrauten von Jesus. Das Ensemble wurde später seitlich versetzt. Die Kreuzigungsgruppe besteht heute aus dem stattlichen Kreuz mit einer geschnitzten Christusfigur von 1937 und den beiden lebensgroßen, aus Kupferblech gefertigten Skulpturen der Maria und des Johannes aus der Barockzeit.
1698 kam auf der Südseite des Platzes die Heilig-Grab-Kapelle hinzu – etwa hundert Jahre später, um etwa 1800, wurde sie verlängert und darin ein Betsaal mit Platz für mehr Pilger geschaffen. In ihrem Innern birgt sie das Grab Jesu, das in Größe und Ausstattung dem Heiligen Grab in Jerusalem nachempfunden ist: Christi Leichnam liegt in einer Felsenhöhle, zwei Engel an Kopf- und Fußende bewachen ihn. Über der Grablege hängt ein großes Bild mit der Darstellung der Pietà. Auf der gegenüberliegenden Seite des Betsaals ist ein Bild angebracht, das wohl ursprünglich über der Grablege anstelle des Bildes mit der Muttergottes und dem toten Jesus auf ihrem Schoß angebracht war. Es zeigt die Auferstehung Jesu und damit die christliche Vision, dass der Mensch den Tod überwinden kann.
Das mit Blumen und Kerzen geschmückte Grab Jesu zu Ostern
Die Heilig-Grab-Kapelle ist neben der Andachtsstätte mit dem Geißelheiland die zweite wundertätige Stätte auf dem Kalvarienberg. Davon zeugen die zahlreichen Votivtafeln an den Wänden hier ebenso wie in der Heilig-Kreuz-Kapelle. Man sieht: Menschen bringen ihre Sorgen vor Gott und bitten um Kraft, Linderung und Heilung für sich und liebe Angehörige. Ihre Bitten um Fürsprache sowie ihren Dank für erhörte Gebete haben sie als Szenen aufgemalt und dazu in zierlichen Buchstaben eine Jahreszahl geschrieben. Die älteste Tafel stammt aus dem Jahr 1699, die jüngste aus dem Jahr 2008.
Der Kalvarienberg in Lenggries wird in einem weit geschwungenen Bogen von einem Kreuzweg mit vierzehn Stationen umfasst. Die erste Station beginnt unmittelbar beim Heraustreten aus der Heilig-Kreuz-Kapelle; die letzte Station endet auf der Südwestseite der Heilig-Kreuz-Kapelle. Der Kreuzweg wurde im Jahr 1734 eingesetzt und im Jahr 1865 von Franziskanern erneuert. In Erinnerung an das Wirken der Franziskaner auf dem Kalvarienberg hängt auf der Stirnseite der Heilig-Kreuz-Kapelle ein Bildnis von einem spanischen Mystiker. Wahrscheinlich war es ursprünglich eine Darstellung des heiligen Petrus von Alcanthara, einem Franziskaner, der als Eremit lebte und eine Heilig-Grab-Kapelle baute. Allerdings hat die Figur heute einen weißen Überwurf (Mozzetta), welche die Figur als Karmelit ausweist. Damit wäre es eher eine Darstellung des heiligen Johannes vom Kreuz.
Eine Gruppe Firm-Jugendlicher hilft beim Säubern und der Pflege des Kalvarienberges
Eine Besonderheit auf dem Lenggrieser Kalvarienberg ist das Benefiziatenhaus. Es wurde 1699 als Klause errichtet und bis etwa 1825 von Eremitenbrüdern bewohnt, die ihren Glauben abseits vom geschäftigen Ort Lenggries leben wollten. Sie waren es auch, die den Kalvarienberg seelsorglich betreuten. Danach bewohnte kein Eremit mehr die Klause. 1864 wurde das Benefiziatenhaus erneuert, weil es feucht und zu klein geworden war. Im Zeitraum von 130 Jahren, von 1849 bis 1979, lebten dort zwölf Schloßbenefiziaten. Seit 1985 bewohnt das Mesner-Ehepaar Annemarie und Johannes Janßen das Haus, anfangs noch mit ihren Kindern, die mittlerweile erwachsen sind.
Das Schloss Hohenburg mit den zugehörigen Ländereien blieb bis zum Zweiten Weltkrieg in adeligen Besitz. Nach dem Krieg wurden Schloss und Gut verkauft. Der Kalvarienberg ging über in den Besitz von Max Grundig. 1982 übereignete die Familie Grundig-Scheller den „Kreuzberg“ an die Pfarrei Lenggries. Umfangreiche Renovierungsarbeiten mussten und müssen seither laufend von der Erzdiözese München und Freising und der Pfarrei Sankt Jakob Lenggries durchgeführt und finanziert werden. Die Mesner halten den Kalvarienberg in würdiger Pflege und Ordnung. Hilfe bekommen sie dabei alljährlich von den Firmlingen, die vor der Karwoche mit Rechen und Besen anrücken und die Andachtsstätte von Blättern und den Rückständen des Winters sauber machen. Bei Bedarf unterstützen auch junge Leute aus der Umgebung. Im Jahr 2018 beispielsweise haben Mitglieder von der Katholischen Landjugend einen neuen Brunnen errichtet.
In den Sommermonaten werden auf dem Kalvarienberg Andachten mit besinnlicher Musik gefeiert
So konnte der Kalvarienberg als Stätte der Buße, der Besinnung und des Gebets über die Jahrhunderte bis heute erhalten werden. An besonderen Tagen in den Sommermonaten ist er ein Ort der Zusammenkunft vor dem Benefiziatenhaus bei besinnlicher Musik und des Austauschs.
In welcher Reihenfolge und in welcher Form soll man an den verschiedenen Passionsstationen auf dem Kalvarienberg beten?
Mesnerin Annemarie Janßen: „Da gibt es keine festen Regeln. Manche gehen nach den Stationskapellen gleich in die Heilig-Kreuz-Kapelle, verweilen an der heiligen Stiege oder manche beten sie auch heute noch kniend hoch. In die Heilig-Kreuz-Kapelle kann man sich auch einfach ins Gestühl vor den Geißelheiland setzen und zum Beispiel ein Licht anzünden. Andere beten vor der Kreuzigungsgruppe auf dem freien Platz. Wieder andere gehen in die Heilig-Grab-Kapelle, um vor der Grablege still zu beten. Man kann auch eine Meditation an den aufeinanderfolgenden vierzehn Kreuzwegstationen machen, die den Platz umrunden. Jeder darf selbst bestimmen, wie und wo er beten will.“
Text: Lisa Schmaus, Stabsstelle Kommunikation, April 2023
Öffnungszeiten des Kalvarienberges
Der Kalvarienberg ist in der Regel immer zugänglich. In den Wintermonaten können die Wege oft nicht ausreichend geräumt werden. Der Zugang über die Treppenanlage ist dann aus Sicherheitsgründen nicht möglich. Es gibt einen weiteren Zugang auf der Rückseite des Kalvarienberges, über den (für Fahrzeuge gesperrten) Weg an der Dionyskapelle vorbei. Dieser Weg ist mit entsprechendem Schuhwerk meist möglich.
Die Kapellen auf dem Kalvarienberg (Heilig-Grab-Kapelle, Heilig-Kreuz-Kapelle) sind zu festen Zeiten geöffnet: Sonntags von 14 bis 16 Uhr, ansonsten unregelmäßig geöffnet. Bei dringenden Anliegen kann man sich unter Tel.: 08042/3696 erkundigen, ob eine Öffnung der Kapellen möglich wäre.
Gottesdienste und VeranstaltungenSchützenwallfahrten, Messen, Bittgänge, Fastenandachten, „Sonntag um 5“
Näheres siehe jeweils im Pfarrbrief der
Pfarrei St. Jakob Lenggries.
Serie "Kunstschätze im Erzbistum"
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St. Jakob
Marktstr. 15
83661 Lenggries
St-Jakob.Lenggries(at)ebmuc.de
Dr. Josef Rauffer, Pfarradministrator
Werner Wüste, Seelsorgemithilfe
Jonas Eder, Gemeindereferent
Christoph Freundl, Pastoralreferent